Anfang und Ende   oder   Ende und Anfang...

 

 

An einem der letzten Tage (hier daheim) habe ich per Mail kommuniziert.

Mit dem einzigen Nachbarn, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin.

Auf Abstand. Räumlich, wegen der zwischen uns trennenden Straße.

Und ansonsten, da wir beide Asperger sind. Da braucht es keine direkte Nähe.

Übereinstimmung und Verständnis sind auch so da. Naturgemäß.

Wir schreiben also, statt zu reden. Und nur einen Tag lang. Still verabredet.

 

Seine Lebensgefährtin ist vor wenigen Wochen dramatisch verstorben.

Auch damals schrieb er mir. Weil ich ihn verstehen würde. Das war auch so.

Nun habe ich den Entwurf eines Buchtextes zu lesen bekommen.

Mit einem Inhalt, den seine Freundin eigentlich zu Papier bringen wollte.

Nun tut er es. Für sie. Vielleicht aber auch für sich selbst.

Und Menschen die in der Lage sind zu verstehen.

 

Um die Geschichte seiner Familie geht es. Von der ich nichts ahnte.

Leicht fällt es mir mich festzulesen, eine halbe Nacht lang. Noch beim Großen.

Nach dem Kapitel "Tod im Krankenhaus" breche ich aufgewühlt ab.

Was hat man dieser ohnehin gequälten Frau dort alles angetan?!

Wütend bin ich. Traurig. Sprachlos. Voller Gedanken. Auch mich selbst betreffend.

Möchte reden. Jetzt, sofort und gleich. Aber bin allein, obwohl zu zweit!

 

Danach war mir klar, dass ich heim wollte. Nach Hause. In meine Burg.

Unendlich viel ist hier zu arbeiten. Und zu bearbeiten.

Die Mails, die über die Straße gingen, waren wichtig. Wachrüttelnd.

Jene Zeit im Buch ist auch die meiner eigenen Kindheit. Nachkriegszeit.

Zerstörte Häuser, gestörte Familien, verstörte Menschen. Darin Kinder. Wir.

Ist das, was wir heute (er)leben, nicht eine Folge dessen was damals war?

 

Es war gut zu "reden". Abzugleichen. Einen Freund neu zu sehen. Mit Hintergründen.

Anders zu bewerten, warum er ist, wie er ist. Wie ich auch.

Zu verstehen, warum er so manches nicht will. Wie ich auch.

Manches vielleicht zuviel will. Wie ich auch.

Warum er etliche Jahre seines Lebens hier verschwendet hat. Wie ich auch.

Nur gehe ich nun bald weg. Er nicht. Obwohl er versteht. Mich. Sich (noch?) nicht.

 

Mir ist dadurch klarer geworden, was ich im Herzen schon längst erkannt hatte.

Dass  (und wie sehr) die Kindheit uns prägt. Wie dort Weichen gestellt werden.

Wie schwierig es dadurch später wird Abzweigungen zu erkennen, zu nutzen.

Wir rattern auf eingefahrenen Gleisen dahin. Fragen uns oft gar nicht mehr warum.

Und wohin die Reise führt. Steigen an Bahnhöfen nicht aus. Aus Angst vor NEUEM?

Bis nichts mehr geht. Dann beklagen wir die Endstation, den so abrupten Halt.

 

Meine Mail endete mit (aus dem Zusammenhang genommen, aber verständlich):

 

"An den Folgen würde sie doch ein Leben lang zu tragen haben!"

 
Das war auch so. Archäologie hatte ich studieren wollen. Und liebend gern wäre ich nach Kairo gegangen, ans dortige "Archäologische Museum". Meine ganze Kindheit über hatte ich davon geträumt! Und nun blieb es ein Traum. Unerfüllbar. Das war der Preis der Freiheit. Die ich mir genommen hatte. Oder gegeben.
Eine Frage der Interpretation.
 
Hätte ich damals die richtigen Menschen getroffen, mehr von mir verstanden, mich anders zu wehren gewusst - mein Leben wäre ein ganz anderes geworden. Zu heiraten, Kinder zu haben war nie (m)ein Ziel. Ich suchte nach den Abenteuern meiner Jugendliteratur. Und habe einen Teil davon erst Jahrzehnte später auf meinen Jakobswegen kreuz und quer durch Südfrankreich, Spanien und Portugal wiedergefunden. Ich konnte bleiben wo ich wollte. Mir Weggefährten wählen, oder  allein unterwegs sein. Die Tagesziele blieben mir überlassen. Meine Essenswahl auch. Mein dicker Schlafsack war meine Schutzhülle für die Nacht, und um mich abzugrenzen. Morgens war ich wieder unterwegs. Freiheit pur.
 
Wenn das Haus verkauft ist (und ich körperlich dazu noch in der Lage bin) werde ich sicher für eine Weile ins Ausland gehen. Um was zu tun? Zu leben. Zu sein. Einfach nur das. Vielleicht in Portugal. Das mir so sehr ins Herz gewachsen ist. Ach, welch' tiefe Sehnsucht habe ich doch immerzu nach Porto, dem wundervollen Douro mit seinen bunten Fischerbooten, den Wellen des Atlantiks, der fröhlichen, entspannten Lebensart der Portugiesen...
 
Noch nur Träumereien. Aber Ziele braucht der Mensch. Ein Asperger ohnehin. 
 
-Ende des Zitats-
 
 
 
 
Allen Lesern (ganz besonders aber den Freunden) wünsche ich,
dass sie sich ihre Träume bewahren,
auch wenn diese mit der Zeit leicht verstauben mögen.
 
Wir können immer aufstehen, uns Schuhe anziehen, einfach losgehen.
Um das zu verwirklichen, was wir schon immer tun wollten.
Nur wenig hindert uns daran - meistens Ausreden.
 
 
Wartet nicht, bis es vielleicht zu spät ist.
Beginnt in bunten Farben zu leben, statt zu existieren. Mit allem, was dazugehört...
Ich wünsche allen ein erfülltes Jahr 2018. Voller Lebendigkeit!