Es ist ziemlich lange her, dass ich hier war, an diesem meinem versteckten Ort, an dem ich so oft niederzu-schreiben vermochte, was mich in meinem Herzen bewegte. Doch manchmal gibt es nichts zu notieren. Und an anderen Tagen lässt das Leben die Finger des Geschehens viel zu stürmisch und zu rasch über die Tas- ten toben. In beiden Fällen schweigt man. Oder lebt. Besser gesagt: versucht zu überleben. Letzteres habe ich getan...

Wir notieren heute den 29. Januar des Jahres 2016. Noch sind seine Seiten weiß, weitgehend jedenfalls. Wo- mit wird sich dieses Lebenskapitel füllen? Das kann ich (noch) nicht beurteilen. Und bin auch froh über meine Unkenntnis. So wie es  im vergangenen Jahr auch war. Zu seinem Beginn hätte ich niemals geahnt, was es mir bringen würde. An Veränderungen, Fortschritten und Leid. Es war eine große Bandbreite. Von der ich nicht gedacht hätte, dass sie noch eintreten könnte. "Noch", da ich annahm, es wäre mir schon ziem- lich alles passiert, was sollte da noch neues kommen? Es war aber so. Und drastischer, als ich mir es je aus- gemalt hätte...

Angefangen hat alles so richtig mit dem Aufbruch der Haustür. Der Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Sicherheit - das war nun hin und die Türschlösser auch. Ein Handwerker sollte her, der per kostenloser Anzeige gesucht wurde. Die Resonanz überwältigte mich. Woher wissen, wer nun "der Richtige" war? Zu- dem fürchtete ich mich vor einem fremden Menschen im Haus. Zugleich war mir deutlich, dass ich gar kein Mitspracherecht hatte, denn im Leben geschieht nicht durch Zufall...

Der, den ich auswählte, war ein Riese, verstand sein Handwerk und kam aus Berlin, der Stadt der Eltern, Großeltern und meiner Kindheit. Das machte ihn mir sympathisch. Auch, dass er meinem neugierigen, überheblichen Nachbarn, unter dessen "Knute" ich oft gelitten habe, mit seiner ruhigen und gelssenen Art den Wind aus den Segeln nahm. Als dieser ihm erklären wollte, wie er Tür und Fenster einzubauen hätte, da hat dieser Bär von einem Mann auf seiner Leiter total den Blick ins Haus verstellt. Und sich nicht einmal umgedreht. Er hat diesen nervigen Typen schlicht ignoriert. Ich schmunzelte in mich hinein. Es war das ers- te Mal, dass ich von Peter beschützt wurde. Und er tut es immer noch...

Über alles was auch folgte, da möchte ich eigentlich überhaupt nichts zu Papier bringen. Zu furchtbar, zu schmerzhaft, zu viel Herzeleid. Was ich innerhalb meiner kleinen Familie erlebt habe, das hätte ich zuvor nie für möglich gehalten. Niemals. Niemals! Hätte es mir jemand angekündigt, so hätte ich gebrüllt: "Du lügst! Das kann nicht sein und wird nicht gescheh'n!" Es passierte aber doch. Und auch das war vorherbestimmt. Sollte ganz so sein, wie es sich zugetragen hat...

Immer wieder sehe ich mein (das) Leben als ein großes Puzzle. Erst wenn sich größere Zusammenhänge ergeben verstehen wir einzelne Bilder, kleine Bereiche, Farbflecken, fehlende Randstücke. Erkennen, was warum und wie sein musste. Um die nächsten Schritte daraus zu entwickeln. Die uns in dunkle Keller, oder in wundervolles Sonnenlicht führen können. Manchmal auch in beides. Nacheinander oder gleichzeitig. Letz- teres ist mir geschehen. In so vielem, was plötzlich leicht und zu bewältigen erschien, lag zugleicht zutiefst böses, schwarzes, vernichtendes schon verborgen...

Ohne all' das, wäre aus dem Riesen und mir sicher kein Paar geworden. Das sind wir aber. Und kennen uns am 27.April seit einem Jahr. Erstaunlich, wie rasch die Zeit vergangen ist. Was wir schon alles miteinander erlebt haben. Teilten. Auch (er)litten. Mehr durch Einfluss von außen, als aus eigenem Erleben. Wir sind an Grenzen gekommen. Dessen, was man auszuhalten vermag (ich war drei lange Monate über schwerkrank, mit Notarzt, Klinik, vier verschiedenen Ärzten und mehr als 500 Schmerztabletten)...

Und dessen, was einem das Herz bricht. Weil man glaubt zu implodieren. Sich wünscht, der Boden würde sich auftun und man würde verschluckt. Da das, was man da erfährt, die Zeit stillstehen lässt. Da das, was man da erfährt, einfach undenkbar war / ist. Weil es alle Türen zuschlägt und sie mit Eisenketten und - schlössern verriegelt, auf alle Zeit. Weil das, was angerichtet wurde, nicht wiedergutzumachen ist. Weder heute, noch morgen, noch übermorgen. Nie mehr...

Peter war da. Ist da. Auf seine manchmal stille Art. Über Gefühle zu reden ist seine Sache nicht. Handwer- ker eben. Einer der zupackt, nicht lange fragt. Man muss auf die Zwischentöne hören. Von denen es wiede- rum viele gibt. Vorgestern sagte er mitten auf der Straße und absolut unvermittelt: "Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe!" Mit Tränen in den Augen. Da war ich natürlich sehr berührt. Habe geantwortet: "Dito! Weißt du was das Wort bedeutet?" Er nickte.

Meine Antwort war absolut ehrlich und ungeschönt. Ich bin froh darüber, dass wir uns begegnet sind. Was ich ohne ihn im vergangenen Jahr gemacht hätte, das kann ich nicht sagen. Vielleicht wäre ich untergegan- gen. Hätte mich und alle meine Überzeugungen verraten. Mir die Liebe (oder Verachtung?) eines Menschen erkauft, eben weil er ein Teil von mir ist. Seit seiner Geburt war und immer sein wird. Auch wenn nun Eiszeit herrscht. Ohne Chance auf Erderwärmung. Aber es war die einzig richtige Entscheidung. Trotz aller Folgen die eingetreten sind. Ich kann mich im Spiegel anschauen. Wenn auch mit blutendem Herzen...

Spätherbst, die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel haben wir in aller Ruhe begangen. Miteinander ge- kocht. Gebaut. In der Werkstatt unsere Kreativität ausgelebt. Jeder in seinem Bereich. Mit allen Über- schneidungen. Vieles ist gut. Wenn auch bei weitem nicht alles. Aber das kann man nicht verlangen. Wir sind auf einem gemeinsamen Weg. Irgendwie. Was ist Liebe? Das frage ich mich oft. Und auch, ob nicht Gebor-genheit und Verständnis, Freundschaft und Harmonie wichtiger sind. Daraus vermag man nun zu entneh- men was man mag. Auf jeden Fall ist es gut, wie es jetzt ist.

Bald werden wir noch auf einem anderen gemeinsamen Weg sein. Man ahnt es, es wird einer der Caminos de Santiago sein, ein Jakobsweg. Peter hat sich das gewünscht, da er (fast) noch nie im Ausland war. Und vor allem, weil er mich noch besser verstehen möchte. Weiteres mit mir teilen, ähnliche Erfahrungen ma- chen. Wie es wohl wird? Darüber mache ich mir viele Gedanken. Er nicht. Er hat ja mich. Ich werde schon wissen was man vorbereiten muss. Alles regeln. Im wahrsten Sinne des Wortes die Richtung vorgeben. Das stimmt ja auch.

Die Flüge sind gebucht, wir laufen schon jetzt viel, obwohl uns noch ein paar Wochen Trainingszeit verblei- ben. Fit sind wir beide nicht. Peter, da er nie gewandert (nur ungern gelaufen) ist und ich, die mit den Fol- gen der bösen Erkrankung kämpft. Oft bin ich bleiern müde, schlapp, muss mich hinlegen. Ich wiederhole mich: "Wie es wohl wird??" Wir gehen früh im Jahr los, um den Pilgermassen zu entgehen. Wird es da viel regnen? Gar schneien? Viele Herbergen werden noch nicht geöffnet sein. Ohnehin ist die Herbergsdichte nicht besonders groß. Der Küstenweg, oder durchs Landesinnere? Noch lese und google ich, suche Informa-tionen zusammen, vermag mich noch nicht endgültig zu entscheiden.

 

Die Wahl, die ich treffen werde, wird richtig sein. Weil es eben keine Zufälle im Leben gibt.

In wenigen Wochen werden wir wissen, was uns begegnen sollte. So oder so...