Eine Burg...

ja, das passt. Mein Haus war immer mein Schutz, meine feste Burg, in die ich mich zurückziehen konnte von der Welt.  Ein Raum, der still sein konnte. Warm oder kalt. Manchmal voller Einsamkeit. Oft aber auch erfüllt von Musik. Tränen sind geflossen, aber viel und gern gelacht hab' ich auch...

In den letzten vierzehn Monaten hat sich daran sehr viel verändert. Und all' das begann mit meinem Geburtstag im Mai 2015. Völlig unerwartet standen Kids und Enkel vor der Tür. Nur für eine Stunde, aber immerhin. Ach, wie kann man sich freuen! Und wie rasch kann man gerade gewonnes wieder verlieren, buchstäblich über Nacht. Man kann tiefer stürzen, als man es je zuvor getan hat. Und immer weiter abrutschen. Irgendwann scheint alles bodenlos geworden zu sein...

"Es sollte so sein wie es ist, weil es zuvor war, wie es war" - so habe ich es oft geschrieben. Und empfinde es auch nach neun Jahren noch ganz genauso. Damals kam ich von meinem ersten Jakobsweg zurück. Nun liegen fünf Caminos hinter mir. Der letzte abgebrochen. Oder besser: "beendet", am richtigen Punkt. Eine Frage der Sichtweise. Auf jeden Fall war die Entscheidung richtig.

"Zufällig" war mir Minuten zuvor ein Mensch begegnet (Wanderer wie ich / wir), der mir gezeigt / gesagt hat, worum es wirklich im Leben geht. Und das hat alles verändert, als die Worte wirklich in meinem Herzen angekommen waren. Ich hatte mein ganz persönliches Ziel erreicht. Worin für mich der Sinn eines Pilgerweges liegt. Eben darum geht es. Nicht um Santiago, Mauern, Häuser, Straßen. Eine Kathedrale vor deren riesigem Altar ich schon vier Mal gestanden habe. Es gab kein Gelöbnis, so war ich frei mich zu entscheiden.

In anderen Situationen ist das oft nicht so einfach. Kein Engel in menschlicher Gestalt weist uns den Weg. Es gilt, ihn selbst zu erkennen. Eine Richtung einzuschlagen. Das Unbekannte kann Ängste auslösen. Also verharren wir ab und zu viel zu lange in Gegebenheiten die im Grunde unerträglich sind. Uns langsam aber sicher zu zerstören drohen. Wir ertrinken fast und schwimmen verzweifelt dagegen an. Statt um das zu kämpfen, um das es wirklich geht.

Auch ich mache da keine Ausnahme. Meine Welt wurde täglich buchstäblich dunkler und enger. Verzweifelte Aktionen brachten nichts. Mein Körper begann mehr und mehr mir die rote Karte zu zeigen. Migränetage mit heftigsten Schmerzen in immer kürzerer Abfolge quälten mich. Nächtliche Herzattacken. Trigenimus - Neuralgien.

Es kam der Tag, da war ein Punkt erreicht, den ich nicht mehr überwinden konnte. Nervenzusammenbruch. Ende. Aus. Viele deutliche Worte. Kapitulation. Verzweiflung. Wir haben beide viel geweint. Aber es war klar, dass alles was ich vortrug zutraf. Und noch mehr als das. Es gab für mich keinen Weg mehr. Er war zu einer Sackgasse  verkommen. Mit einer unüberwindlich hohen Mauer am Ende. Es blieb nur zurückzugehen und einen anderen Abzweig zu suchen. Ob wir ihn gefunden haben, davon bin ich noch keinesfalls überzeugt. Zu frisch das alles. Zu tief sitzen die Verletzungen.

Im Leben geht es immer wieder um Abschiede. Aber auch Neuanfänge. Manchmal sind sie schwierig, in anderen Fällen unmöglich. Ausgerechnet in jener ohnehin belasteten Zeit brach mein Computer zusammen. Alles weg! Alle gespeicherten Blogs aus früheren Zeiten. Abertausende Fotos. Alles je auf dem PC Geschriebene. Ausgerechnet bei der beabsichtigten Datensicherung. Ein Hohn irgendwie. "Es sollte sein wie es ist". Wieder einmal sage ich mir das. Und vermag es doch nur schwer zu akzeptieren. Es bleibt nur die Gegenwart. Die Zukunft kennt niemand. Es ist, wie es ist.

Meine "Burg" ist seit mehr als einem Jahr eine Großbaustelle. Seit Monaten gibt es kein nutzbares Waschbecken. Sind Wände eingerissen, andere entstanden. Zugleich haben sich tiefe Gräben aufgetan. Das kann man nicht auf Dauer aushalten, da dreht man durch (die engsten Freunde wissen um was es geht). Wird sich nun wirklich und dauerhaft etwas radikal verändern? Ich wünsche es mir. Aber habe auch viel Lebenserfahrung. Guter Wille allein genügt nicht. Er muss auch in Taten umgesetzt werden. Auch von meiner Seite.

Es hat mich große Überwindung gekostet, alle meine restlichen Bücher durchzusehen. Auf verkaufbares. Was beim Aufkäufer angenommen wurde habe ich mir aus dem Herzen gerissen. Bücher bestehen doch eigentlich nur aus bedrucktem Papier. Tausende habe ich seit Kindertagen gelesen. Und vieles vom Inhalt in meinem Kopf verwahrt. Was nicht, das war vermutlich auch nicht wichtig. Es bleibt mir nur das so zu sehen. Von den erlösten ganzen 77,87 € werde ich nun die einfachsten Fliesen für`s Bad kaufen. Kleber, Fugenmasse, Wandfarbe. Ein seltsamer Tausch. Der schmale Bücherschrank (mein umgearbeiteter Uhrenkasten ist nun gähnend leer. Was blieb steht nun quer als Schauobjekt.

Nicht gut, aber richtig. Man kann von anderen Menschen keine Härte erwarten, wenn man sie nicht gegen sich selbst anzuwenden vermag. Von manchem kann man sich nicht trennen. Denkt man. Damit gilt es anzufangen! Gestern habe ich meinen kleinen alten Ofen entzündet und in die Flammen meine wenigen Kindespielzeuge geworfen, die ich durch all die Jahrzehnte und Umzüge mitgeschleppt und behütet hatte. Es tat weh, zu sehen wie sie ein Raub der Flammen wurden. Aber nun weiss ich, was aus und mit ihnen geworden ist und habe diese Entscheidng selbst getroffen. Nicht gut, aber richtig. 

Portugal erwartet mich / uns in einigen Tagen. Ein winziges Häuschen am Tejo in Lissabon. Mitten im Herbst. Eine Chance für Abstand. Um zu reden. Den eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Sich aber auch zu begegnen ohne alles das, was mir hier auf der Seele liegt. Wie wird das ausgehen? Eine Woche wird keine Berge versetzen. Aber es wird eine Zeit in Sauberkeit und Ordnung (hoffentlich!!!) werden. Um Atem zu holen. Eine Entscheidung zu treffen.

 

Vielleicht ist sie nicht gut. Aber vermutlich die richtige...