„Nur die innere Reise ist wirklich …

Ich weiß, dass ich mich von der äußeren Welt abkehren muss,

die nicht die einzige Wirklichkeit ist und der Kraft lauschen, die in mir liegt.“

 

Geschrieben hat dies Ella Maillart (*1903 in Genf, +1997 in Chandolin), die Schweizer Reiseschriftstellerin, Seglerin und Photographin. Wie konnte sie mir bisher nur entgehen, da sie doch Klassiker der Reiseliteratur verfasst hat? Doch alles kommt zur rechten Zeit. So, wie dir Menschen begegnen, die dir etwas zu sagen und zu geben haben, so finden dich auch Bücher im passenden Moment, davon bin ich mittlerweile überzeugt.

Dabei denke ich z.B. an "Die Wand" von Marlen Haushofer. Jenes einzige deutschsprachige Buch, das im Bücherregal meines Hostels in Porto stand. Es regnete, ich legte mich auf mein schönes Bett, sog zunächst einen niederländischen Bildband über Portugal in mich auf, dann einen englischen Reiseführer und verlegte mich am Ende leicht gestresst vom Sprachengewirr (auch um mich herum mit vielen asiatischen Mädels) den Roman anzufangen, von dessen Existenz oder Thema ich zuvor nichts wusste. Gut so. Denn ich las ohne jegliche Beurteilung oder behaftet mit Vorurteilen. 

Welches Thema! Was hätte man alles daraus machen können! Ich las ohne Unterbrechung, fast in einem Rutsch. Eine Frau erwacht und zwischen ihr und der restlichen Welt befindet sich eine gläserne Wand. Ein Krieg? Ergebnis eines Angriffs aus dem All? Das bleibt offen. Und ist für die Entwicklung der Geschichte auch gar nicht (mehr) von Bedeutung. Da es doch nur darum geht, das Leben zu gestalten unter den Um- ständen, die nun einmal da sind. Eine Wand, hinter der ein Mensch allein auf sich und seine Fähigkeiten an- gewiesen ist, um zu überleben. Wie ein Asperger Autist. Bamm! Genau das war es, was mich erfasste. Ich erkannte etwas, noch ohne zu wissen was es war...

Nun finde ich das Zitat von Maillart im virtuellen Postkasten. Lese ihre Lebensgeschichte in Kurzform. Mit Mitte Zwanzig unternahm sie erste Reisen nach Moskau, in den Kaukasus sowie in die Mandschurei und schließlich durch die entlegensten Gebiete Chinas mit dem Ziel Kaschmir. Von Peking aus startete sie die „verbotene Reise“ bis zum mongolischen Indien, sechstausend Kilometer auf Pferden, Kamelen und zu Fuß. „Eine Reise, in der nichts passiert, doch dieses Nichts wird mich ein Leben lang erfüllen“, sagt sie danach. Da war wieder etwas was mich berührte ohne, dass ich hätte zu sagen vermochte was genau es war. Also forschte ich im Web. Ich fand: 

"Berühmt ist ihre Reise mit Annemarie Schwarzenbach 1939 von Genf über die Türkei und Persien nach Kabul. Beide Frauen glauben, fernab von Europa Menschen zu begegnen, die im Frieden vormoderner Gesellschaften leben – einem Frieden, den sie in der Abkehr vom kriegsbedrohten Europa auch für sich selbst suchen. Aber die Reise, überschattet vom unwägbaren Lebensstil Annemarie Schwarzenbachs, wird für Ella Maillart zu einem dramatischen Ereignis."

Zwei Frauen gemeinsam unterwegs, die unterschiedlicher wohl kaum hätten sein können. Und das geht nicht gut. Man hätte es vorher erahnen können. Aber es sollte wohl sein, wie es eben war. Was auch auf uns zutraf. Meine Freundin und mich. Unser Camino konnte nicht funktionieren, weil auch wir fest in unseren Rollenbildern verhaftet waren. Eine, als "ängstlich, abhängig, vermeidend" eingestuft, dies mit aggressivem Verhalten kaschieren wollend und eine, die es gewohnt war Verantwortung zu übernehmen, für sich und ihr anvertraute Menschen, gern kühn nach vorn blickend. Aber unfähig Probleme offen anzusprechen.

Gemeinsam waren wir zum Scheitern verurteilt. Getrennt waren die Chancen das Ziel dennoch zu erreichen für beide möglich. Theoretisch. Denn nur ich kam an. Hätten wir nun beide Bücher über diesen Jakobsweg verfasst, wären sie nicht absolut gegensätzlich gewesen? Wer von uns hätte was wie bewertet aus seiner eigenen Sicht heraus? Hätte uns dies im Nachhinein eine klarere Sichtweise ermöglichst welche Fehler wir wann gemacht hatten? Vielleicht. Andererseits auch nicht. Weil man sich nicht ändern kann für eine Reise. 

Ella Maillart war reise- und wandererfahren. Sie plante die Reise und ist der führende Kopf des Teams. Was sie mit ihrer Gefährtin erwartet, das unterschätzt sie offenbar komplett. Und es gelingt ihr auch unterwegs nicht, sich in sie einzufühlen. Vieles ist daher vorprogrammiert. Erst viel später beginnt sie mehr und mehr zu verstehen. Sie gibt dem Ausdruck in ihrem Buch, das die Reise von der Schweiz über die Türkei und Per- sien nach Afghanistan beschreibt. Zwei Frauen in einem Ford allein unterwegs im Sommer 1939, man be- denke das. Völlig unmöglich heute!

Ich lese in jeder Nacht ein Kapitel, denn ich konnte ein gebrauchtes Taschenbuch ergattern. Erfahre so von einem Persien, das Träume weckt. Von dem nichts blieb. Mit Afghanistan ist es nicht anders. Begriffe wie     "Kabul" und "Mazar-i-Sharif" erwecken heute in unserem Kopf schreckliche Bilder. Damals konnte man in ein relativ unverfälschtes Leben eintauchen, unbedarft auf Dachterrassen übernachten, oder im Zelt. Unter anderen Umständen hätte es ein ganz großes Abenteuer sein können. Doch der Buchtitel beschreibt diese Zeit als das, was es wohl war: "Der bittere Weg".

Annemarie Schwarzenbach (eng befreundet mit Erika und Klaus Mann) kämpft mit ihren inneren Geistern. Und gegen das Morphin. Vermag beides jedoch nie ganz zu besiegen. Sie gilt als sensibel und hochbegabt, hat Probleme mit ihrem Elternhaus, vor allem der Mutter. Auch sie schreibt über diese Zeit, schildert ihre Eindrücke eines Orients, der längst versunken ist. Das werde ich im Anschluss lesen. Sinnigerweise lautet ihr Buchtitel "Alle Wege sind offen". So hat sie es wohl gesehen. In vielen ihrer Gedanken fühle ich mich mit ihr verbunden. So will ich ihre Worte hier ans Ende stellen:

"Jeder Abend ein Abschied und am Morgen stehe ich dem Unbekannten gegenüber. Die Abenteuer sind vorüber, aber tausend Wirklichkeiten müssen noch geprüft werden. Ich packe sie, ich stürze mich darauf, ich liebe - und ich kann nichts vergessen. Hinter mir Zedern, Olivenhaine, Lieder, Säulen, Zelte, Segel. Und die Hufspuren der Pferde, die von ihren Reitern vorwärts getrieben werden. Weiter, immer weiter, weit hin- ter unbekannte Horizonte! Wie manche schlaflose Nacht es mich auch kostet, sie zu erreichen... wie ein scheuendes Pferd stürmt meine Geduld nach rechts und links - stürzt sich aber immer vorwärts.

Die Straßen sind verschleiert, gewunden, wie die Milchstraße. Kälte, Hunger, Durst und kein Ort, wo ich mein Haupt niederlegen könnte. Keine hilfreiche Hand. Wenn ich jetzt in einer dieser Nächte deine Straße beträte, würden die Nachbarn mich nicht mehr kennen, man würde mich nicht von den Blinden, den Stum- men, den Bettlern unterscheiden können. Und ein <Willkommen> würde ich nicht hören; aber ich würde die Suppe, die dein Mitleind den Elenden anbietet, verschmähen. Der Hunger ist mein Freund. Ich begrüße jede Müdigkeit. Ich lege mich neben der Quelle nieder und vermag nicht meinen Durst zu stillen.

Was tut's? Ich habe bereits Berge überquert. Und gehe vorwärts mit leichtem Herzen. Mein Herz ist so leicht, so leer, dass jede Art von Kraft Eintritt findet, alle Energien in mich strömen: die würzige Nachtluft, die salzigen Winde des Meeres, der Atem der schlafenden Blätter, Tiere und Menschen. Jeder Pulsschlag. Und es steigt aus den Flüssen empor, schwebt über den Feldern wie der Morgennebel, liebkost die Spitzen der Zelte und Wipfel der Bäume, sammelt sich um die Feuer der Hirten. >Fürchte nicht!< Und es ist, als sähe ich zu beiden Seiten des Weges Legionen von Engeln und müsste Tränen der Freude vergießen." 

 

Schwarzenbach wurde für ihre Sprach- und Schreibbegabung bewundert.

Leiden und Leidenschaft waren mit ihr untrennbar verbunden.

Vielleicht, weil sie sich so sehr danach sehnte, wirklich geliebt zu werden. Sie wurde nur 34.

( Asperger Autismus wird vermutet)

 

 

She runs through the streets
with eyes painted red
under a black belly of cloud in the rain

in through a doorway she brings me
white gold and pearls stolen from the sea

She is raging
and the storm blows up in her eyes
she will
suffer the needle chill


she's running to stand

still