Es war klar, dass ein tieferer Sinn hinter allem stand. Im Herbst und Winter preiswerte Häuser, die für einen Kauf infrage kamen. Unterwegs mit Länderticket, also um 8.45 Uhr hier los, im Laufe des Tages bis zu 8x in diverse Nahverkehrszüge umgestiegen und gegen Mitternacht über's Nachbardach wegen defekter Haus- tür per Leiter (aus dem Berlingo) in die 1. Etage geklettert. Super, wirklich toll mit dem kaputten Bein... Aber von nichts kommt nichts. Kein Zauberer klingelt unten und serviert mir auf dem Silbertablett das me- gaoptimale Angebot: Ein Traumhaus um 20 000 bis allerhöchstens 25 000 Euro, mit heilem Dach, funktio- nierendem Strom, einer (noch) nicht zusammengebrochenen Fassade und bitte keinesfalls an einem Ort hinter den sieben Bergen, wo sich nicht nur Fuchs und Has' sondern mittlerweile auch die Grashalme ein- zeln gute Nacht sagen, in Ermangelung anderer Gesellschaft. In der Nähe meiner Kids wäre außerdem toll!

Erstaunlicherweise hat es tatsächlich ein Haus gegeben, das mich in Versuchung gebracht hat. Baujahr 98  (!) also alles ziemlich neu, ein Kurpark nebendran, beziehbar im Ist - Zustand, da alles vorhanden. Nur, wie sagen die Makler immer, was zählt: 1.) Die Lage. 2.) Die Lage. 3.) Na, das kennt ihr jetzt schon... Wär' mir ziemlich egal gewesen in diesem Fall. Aber nicht, wie man mich dort angestarrt hat. Wie fragte ich meine Freundin, die mich dorthin begleitet hat: "Warum starrt man mich so an, sehe ich irgendwie komisch aus?" Ihre Antwort, die man natürlich so oder so auslegen kann: "Spinn' nicht rum, du siehst aus wie immer!" Also wie?

Es wurde also nichts aus diesem Traum, obwohl ich dem Makler eine Zusage machte. Plötzlich sollte ich selbst mit dem Eigentümer verhandeln, die Vermittlungsgebühr aber sehr wohl bezahlen! Hallo? Gings noch? Thema durch! Obwohl ich dem Objekt noch immer nachtrauere (denn es wäre voll meines gewesen, vom ganzen Zuschnitt her). Gedanklich hatte ich schon Zwischenwände eingezogen, in der vorhandenen Teeküche gekocht und sah mich in meiner Künstlerwerkstatt eifrig schaffen...

Seit der Schnee geschmolzen und die Temperaturen erträglich geworden sind, las man auf allen Immopor- talen nur noch von Lauben, Ferienhäusern und feststehenden Wohnwagen. Logisch, im Frühjahr. Aber eini- ge wenige Hausangebote wären auch nett gewesen. Doch null. Nada. Vergebliche Liebesmüh' ganztägig sämtliche einschlägigen Portale auf dem PC nebeneinander geöffnet zu haben. Es war wie abgeschnitten. Überhaupt kein Angebot mehr, nur jene Buden, die sich bereits seit ewigen Zeiten nicht an einen Dummen verscherbeln lassen. Tja, da gehör' ich als Asperger leider nicht dazu und scheide als Klientel aus. 

Es dauerte, bis mir die (vermutliche) Lösung dämmerte: Dass ich derzeit kein Objekt finde, dahinter steckt Methode. Es ist noch nicht an der Zeit meine Zelte hier abzubrechen. Irgendetwas fehlt noch dazu, um die richtige Entscheidung zu treffen. Doch wie? Ich entschied, darauf zu warten. Mir sicher, dass ich bald eine Antwort darauf bekäme. Ich bin ein Mensch der glaubt. Daran, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als ein Mensch erfassen kann. Und es einen Grund dafür gibt, warum wir (gerade wir!) uns auf der Erde aufhalten.

An meinem Geburtstag (am Pfingstmontag, ganz wie zu meiner Geburt), klingelte völlig unerwartet meine ganze Familie nachmittags an der neuen Haustür. Nein, meine Freude darüber lässt sich nicht beschreiben... So ein Glück, eine riesiggroße das Herz außer Takt setzende Überraschung! Auch wenn nur Zeit für eine Tasse Kaffee und den Verzehr eines Kuchenstücks blieb, bevor der Weg zurück zum Bahnhof führte: Ich war wunschlos glücklich! Sogar ein Automaten-Selfie aus einem Sofortbildautomaten vom Bremer Hbf hatte man mir mitgebracht. So etwas hatte ich mir immer schon gewünscht, nun war es in Erfüllung gegangen! 

Wie hatte ich am 21.Mai 2007 abends beim Pilgermenü zu GO gesagt: " Ich werde dir nicht sagen wer ich bin und will nicht wissen wie dein Name lautet. Lass' uns nicht über Gefühle sprechen. Denn das, was ich liebe, das verliere ich immer!" Wie er mich ansah, das werde ich nie vergessen. Meine Worte aber auch nicht...

Nun galt es wieder Abschied zu nehmen, die Liebsten in die Arme zu schließen ohne zu wissen, wann ich sie wiedersehen würde. Meine Tochter erschien mir so schmal. Und so nah. Ich sagte ihr, wie lieb' ich sie habe. Dass sie gut auf sich aufpassen soll, sich schützen. Mein Enkel - der ist einfach ein Geschenk. So süß. Und liebenswert. Ich winkte ihnen nach, solange ich sie sehen konnte. Mit einem wunden Herzen. In dem ich bewahrte: "Mum, wir werden nicht immer in Hamburg bleiben. Richte dich nicht nach uns!" Das blieb haften. 

Ein Teil meiner Familie kehrte zurück, plötzlich total erschöpft und wortlos. Ich bezog Bettzeug, deckte zu und sah der schlafenden  Gestalt noch lange zu, auf jeden Atemzug hörend, wie in der Kleinkindzeit.  Die Nacht verbrachte ich fast schlaflos, nur für Minuten einnickend und auf den Wecker starrend, der mir den Morgen verkünden sollte. Jene Zeit, zu der ich endlich erfahren würde was hinter all' den Geheimnissen der letzten Monate steckte. Des großen Rätsels Lösung, Indien betreffend...

Doch dazu kam es nicht. Sondern zu einer Eskalation, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Warum sind Mütter Schafe in diesen Momenten? Hilflos und vertrauend? Nicht in der Lage den Wolf in sich ausbrechen zu lassen? Weil sie lieben. Immer (noch) beschützen möchten. Die neue Haustür wurde von außen zornig zugeschlagen. In mir starb etwas. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich rief jenen Freund um Hilfe an, von dem ich wusste, dass er mir mit direkten und klaren Worten beistehen würde: Edward. Er half mir zu sortieren. Bis ihn der Alltag per zweiter Telefonleitung einholte. Aber das Wichtigste war gesagt.

In den Tagen danach habe ich mich bemüht zu existieren. Mehr war es nicht. Das Messer in meinem Her- zen steckte tief.  Blutströme liefen schmerzend. Tag oder Nacht - das zählte für mich nicht mehr. Wie konn- te / sollte es weitergehen? In der Werkstatt war ich nur noch für Viertelstunden, dann wurde mir wieder schlecht und ich legte mich erneut aufs Bett. Was man aber in meinem Alter weiß: Es geht vorbei! Alles hört auf irgendwann. Man muss nur erst einmal Abstand gewinnen...

Also von Tag zu Tag mühsam wieder eine Stufe zurück gen Licht auf der Lebensleiter hinaufgestiegen. Mir ist schon so viel passiert - da kann eigentlich nur noch wenig Neues kommen?! Das geschieht aber doch. Wer mich gerade noch zutiefst beleidigt hat, der braucht urplötzlich mal eben so meine Hilfe. In größerem Ausmaß! Darüber habe ich trotz allem nachgedacht. Wie jede Mutter es getan hätte. Zugleich hat es bei mir im Karton gerappelt. Also schreibe ich (sicher berechtigt): "Nur dann, wenn..." Was meine Bedingung ist? Respekt. Eine Selbstverständlichkeit. Sollte jedenfalls so sein. Denn mir ist er Teil meiner Persönlichkeit. Ei- ne goldene Brücke ist damit angeboten. Danach gehe ich zum Einkauf, längst habe ich nichts mehr...

 

Nach meiner Rückkehr ist die Antwort da. Nur zwei Worte. Aber deutliche.

"FICK DICH!" steht da wörtlich. Ich lache wie irre... Und begreife dann. Nun bin ich frei.

 

 

Doch die Kälte ist wohl auf immer ein Teil von mir...