Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel.
Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen.

Luciano De Crescenzo

(*1928), italienischer Ingenieur, Schauspieler, Regisseur, Talkmaster, Autor und Cartoonist

 

Als ich noch ein Kind war, bin ich in meinen Träumen oft mit großen, starken Schwingen (davon)geflogen. Vielleicht habe ich mir damals gewünscht fliehen zu können, aus den diversen Höllen, die mich umgaben. Als meine Kinder zur Welt gekommen waren endeten die Flüge, denn in den Armen hielt ich nun Wesen die meines Schutzes bedurften, es war mir unmöglich Flügel aus ihnen wachsen zu lassen. Und diese Träume kehrten später nur noch sehr, sehr selten zurück. In ihnen schwang ich mich in große Höhen auf und über- flog jene Länder und Traumstädte, die ich mir gespannt und begeistert zugleich ersann. Wohlwissend, dass in den Tiefen des Schlafes so vieles möglich ist, was uns in Alltag und Helligkeit verwehrt bleibt...

Mit nur einem Flügel vermag niemand zu fliegen, damit kann man nur flattern. Und muss am Boden blei- ben. Das fiel mir vorgestern ein, als ich nach kleinen Gläsern mit goldenen Flügeln suchte. Es mussten zwei da sein! Und dann entdeckte ich sie. Wir haben sie eingeweiht. Miteinander angestoßen, auf das, was uns in unserem etwas fortgeschrittenen Alter (ähm, bei mir jedenfalls) widerfahren ist...  

Gestern haben wir diverse Schlachten geschlagen. Mehr oder weniger gemeinsam. Aber natürlich trägt Pe- ter den physischen Löwenanteil daran. Woher er seine Kräfte nimmt vermag ich nicht zu sagen und habe es aufgegeben, nach den Ursachen dafür zu suchen. Dieser Mann scheint fast nie müde zu werden.

Viele Baustellen wurden also auch gestern wieder in Angriff genommen, so z.B. endlich, endlich der mitt- lerweile ziemlich riesige Pflaumbaum (während meiner mehrjährigen Abwesenheit von der Nachbarin auf meinem winzigen Hofanteil eigenmächtig gepflanzt). Es ist nur ein Viertel von ihm übriggeblieben, nach- dem mein Held ihn mit der Kettensäge zerlegt hat. Nun ist es in der ersten und zweiten Etage viel heller und die Sonne wird auch auf die neue Holzterrasse scheinen, wenn sie denn fertig ist. Der Abbruch der al- ten war eine Fleißaufgabe und ich kann nicht mehr zählen, wieviele Stunden und Fahrten zum Müllplatz das Ganze in Anspruch genommen hat.

 

Zwischendurch wurde der Briefkasten repariert, gibt es im großen Bad nun eine Duschstange, sowie eine neue Armatur, ist der Wasseranschluß im Waschbecken erneuert, Tür- und Fensterbeschläge sind neu ein- gestellt, ist die Straße vor dem Haus von Unkraut befreit und gründlich gefegt, die Dachrinne nach Jahren freigeschaufelt, der Berlingo innen und außen mühsamst mit der Hand geschrubbt, usw., usw. Unglaublich! Auch, dass wir heute morgen bei der DEKRA waren, und beim bald neunzehnjährigen braven Werkstattwa- gen lediglich Wasser im rechten Scheinwerfer, sowie ein daumennagelgroes Loch am Radkasten festgestellt wurde. Peter wird sich nach dem Urlaub daran machen und somit habe ich wieder ein Auto und zwei Jahre Ruhe bis zur nächsten Prüfung. Mir rollten wahre Felsbrocken von der Seele!

 

Am Sonntagmorgen fahren wir per Wohnmobil zur Ostsee, dümpeln Tagesfahrt um Tagesfahrt dem Müritzer Nationalpark entgegen und besuchen auch Peters Eltern (Hiiiilfe!). Er hat seit dem gestrigen Mittag Urlaub und wir werden nun sech- zehn Tage lang mehr oder weniger ununterbrochen zusammen sein, auf engem Raum. Hoffentlich geht das gut, aber noch bin ich frohen Mutes. Er sowieso, er ist ein fröhlicher, großer Jun- ge! Am Abend habe ich von der Kälte genervt meine große Winterdaunendecke ausgepackt und bezogen, jetzt reicht die Länge auch für meinen "Riesen" und durch die Überbreite sind wir schön warm eingekuschelt. Miteinander. Denn die Mög- lichkeit sich einzeln in eine Hülle einzurollen, ist damit Ge- schichte. Die Folge ergab sich ziemlich rasch und unser Nacht- schlaf war extrem verkürzt, wir mussten ja nun auch relativ früh hoch, wegen des Autos. Drücken wir es so aus: Einer von uns läuft seitdem mit einem breiten Lächeln durch die Welt, während die zweite Person ständig gähnt und hofft, es würde rasch wieder Nacht. Endlich schlafen!!!! Hoffentlich...

 

 

Nun stecke ich wieder mittendrin in einer Trennungsgeschichte. Die erste Scheidung war jene meiner El- tern, mit diversen Fortsetzungen in immer höheren Instanzen. Und seltsamerweise ist es mein Leben lang ähnlich weitergegangen. Nun ist es "nur" eine Trennung, trotzdem gilt es das vorhandene Hab' und Gut auseinander zu dividieren. Und gestern erreichte diese Geschichte den vorläufigen Höhepunkt. Peter hatte seine große, 1000 € teure Kaffeemaschine mit hergebracht, da über sein Geschäftskonto gekauft. Prompt am Nachmittag ein barscher Anruf, wo sie geblieben sei. Er blieb ruhig wie ein zugefrorener See im Febru- ar und antwortete schlicht mit: "Hier!" Wo das denn sei wurde seltsamerweise nicht nachgefragt, auch nicht, wo er praktisch jede Nacht verbringt. Es kam nur zu den obligatorischen Vorhaltungen, die sich Paa- re in solchen Situationen offenbar nicht ersparen können. Wer was wann mal gekauft, bzw. bezahlt hat, was aufzurechnen ist, usw. Und der Ton durch Telefon wurde immer unfreundlicher. Dann sagte mein Held absolut freundlich: "Du verlässt mich, nicht umgekehrt!" Recht hat er!

Jetzt soll zügig der Anhänger her für die Möbeltransporte und Listen sollen unterschrieben werden, wer was bekommt. Hoffentlich klappt das. Die eigentliche Ausräumerei findet statt während wir fort sind (mit Absicht so geplant, der Ruhe halber), aber mit Sicherheit wird es nach der Rückkehr unliebsame Überra- schungen geben! Es sollte mich arg wundern, wennn es anders wäre. Peter sagt, "sie" solle ruhig mehr oder weniger alles mitnehmen, anderes hat er ihr schon neu gekauft. Man sieht daran, wie es einem selbst ergehen würde mit ihm, käme es mal zu einer Trennung. Wobei wir ganz andere Gegebenheiten hätten. Jeder besitzt ein Haus, seine Möbel, sein Auto, Werkzeug etc. Da ginge es sicher kaum um Materie, mehr um den seelischen Schlag, den so etwas stets versetzt...

An ein Ende wollen wir aber beide (noch?) nicht glauben, da wir doch gerade erst am Anfang stehen und dabei sind eine solide Grundlage für unsere Beziehung zu errichten. Wir arbeiten wunderbar Hand in Hand miteinander, verstehen uns meistens ganz ohne Worte, oder greifen nach denselben Dingen oder Farben. Wir reden aber auch viel miteinander und ohne Tabus. Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr offen und ehrlich miteinander umgehen. Das ist eine gute Basis. Da ich nicht in sein Haus kommen möchte, ist er halt hier. Vielleicht ändert sich das einmal, aber ich kann mir dies nicht wirklich vorstellen, als Asperger Autis- tin. "My home is my castle" im wahrsten Sinne des Wortes, ich brauche eine Burg mit Wassergraben und Zugbrücke. Also planen wir für das Haus hier. Die Werkstatt teilen wir, damit jeder seinen Arbeits-/Hobby-/ Bastelbereich hat. Und wir uns sehen können, bzw. bei Bedarf miteinander sprechen.

Inwieweit ich mich auf Dauer in meiner Freiheit eingeschränkt fühlen werde, dass muss sich zeigen und entwickeln. Peter arbeitet viel und wird nach dem Urlaub zwangsläufig oft fort sein, möchte mich aber auch auf Baustellen mitnehmen, damit ich etwas verdienen kann. Kommt Zeit, kommt Rat. Mut ist gefragt.

 

 

Als ich eben in die Küchenspüle schaute, da war nur noch ein Flügelglas heil.

Dem anderen ist der Flügel abgebrochen. Hoffentlich kein unheilkündendes Vorzeichen...

 

Auch wenn ich deutschen Schlager nicht mag - dies ist fast schon eine Ballade. Die passt...