Es war einmal...

 

nein, kein Mensch wie Du und ich, eher war er ganz genauso wie Du. Er hatte schon einen großen Teil sei- nes Lebens hinter sich gebracht, Kinder aufgezogen, etwas von der Welt gesehen. Und kannte sich gut. So dachte er jedenfalls. Es war ein Tag im Spätherbst, an dem sich alles veränderte. Ein Gespräch unter Nach- barn, die schon seit Jahrzehnten befreundet waren. Alles wie immer. Aber doch so ganz anders...

Am nächsten Tag schien die Sonne, doch es war kalt, der Jahreszeit entsprechend. Der Mensch hatte etwas zu erledigen, schloss seine Haustür und ging hinein in die Stadt. Sie schien sich irgendwie verändert zu ha- ben ohne, dass er sich dies zu erklären vermochte. Denn die Menschen um ihn her redeten merkwürdig. Zwar in seiner Sprache, aber seltsam verdreht. So verstand er gar nicht was sie meinten und musste es sich erst "übersetzen".

Welche Erleichterung, eine gute Bekannte zu sehen und rasch mit dem Spruch: "Hallo Süße!" auf sie zuzu- gehen. Sie wich zurück, wie irritiert. Die angedachte Umarmung unterblieb sicherheitshalber, das sonst locker flockige Gespräch wurde eher auf Information ausgerichtet. Woher? Wohin? Warum? Punkt. Seltsam!

Über Nacht hatte die Stadt sich verändert, erschien aufgeräumter, überschaubarer. Nirgendwo blinkte mehr etwas , gab es ein Durcheinander sich überschneidender Informationen, ein Überangebot. Was war denn nur passiert? Selbst im aufgesuchten Geschäft keinerlei Smalltalk. Fakten wurden abgefragt. Das wiederhol- te sich überall. Um was ging es? Antwort. Punkt.

Völlig irritiert kehrte der Mensch heim. Selbst frühere Freunde erschienen ihm wie Aliens, niemand hatte Redewendungen gebraucht, wie: "Komm' doch mal wieder einfach spontan vorbei!" Mochten sie ihn nicht mehr? Überall war er sachlich behandelt worden. Das war ungewohnt. Wo blieben die üblichen aufschwat- zenden Floskeln?

Es musste etwas passiert sein, das der Mensch scheinbar verpasst hatte. Als naheliegend erschien es, den Fernseher einzuschalten. Erstaunen! Dort wurde geredet wie vorhin auf der Straße! Hatte es eine Invasion von Außerirdischen gegeben? War dies eine moderne Form von Kriegsführung, nächtens als Erprobungs-maßnahme eingerichtet worden? Hatten sich Drogen im Abendessen befunden, war alles nur ein Alptraum, aus dem man bald erwachen konnte?

Ein Telefonat sollte Aufklärung bringen. Dort wurde der Anrufer nicht verstanden. Oder schlicht nicht ernst- genommen. Ob er sich einen seltsamen Spaß erlaube, so fragte man ihn. Es funktioniere alles wunderbar,  von niemandem und nirgendwo sei eine Störung gemeldet worden. Es müsse sich um eine Täuschung, oder momentane Verwirrtheit handeln!

So war es wohl! Der Mensch nickte (ungesehen) ergeben.  Legte sich zu Bett und hoffte, am Folgetag sei al- les wie früher. Bunt, hektisch, stressig, laut. Doch ein Blick auf die Strasse vermeldete das Gegenteil. So wusste er überhaupt nicht mehr, was er tun sollte. Bemerkte aber seine extreme Verunsicherung und wie sehr er sich wünschte, dass die Welt sich verändern würde. In eben jene, die er gewohnt war. Doch so in- tensiv er dies auch herauf beschwor: Es geschah einfach nicht!

Es blieb dem Menschen nur übrig zu akzeptieren, welche Regeln nun galten. Und an jedem neuen Tag hat- te er das Gefühl, dieser veränderten Umgebung wie ein Kleinkind ausgeliefert zu sein, das erst ganz am Anfang seiner Entwicklung stand. Welch' ungeheure Mühe kosteten ihn unter diesen Umständen die aller- einfachsten Dinge! Und er fragte sich oft (mit einem leichten Anflug von Zorn), warum von ihm verlangt wurde sich den Gegebenheiten anzupassen und niemand bereit war auf ihn einzugehen. Nur, weil offenbar ein Teil der Menschheit ihre spezielle Form von Regeln aufgestellt hatte? Wer gab ihnen das Recht dazu? War es sclicht so, nur weil sie sich in der Mehrheit befanden?

 

Es ist nur ein Märchen, kein Neurotypischer ist gefährdet, je in eine solche Situation zu geraten.

Doch umgekehrt gibt es für alle Asperger kein Entrinnen.

Man erwartet, dass sie verleugnen zu sein, wie sie eben sind. Nicht verkehrt. Einfach nur anders.

 

 

 

 

"Der Camino gibt dir das, was du brauchst und nicht das, was du willst," so sagt man.

Mein 3. Jakobsweg gab mir alle Schlüssel in die Hand, doch erst im 4. öffnete ich das Schloss.