Als ich ein Kind war, fürchtete ich mich oft vor einem alten, düsteren Ölgemälde.

Es hing an der Rückwand einer Apotheke, war riesiggroß

und zeigte als dramatische Szene ein offenbar todkrankes Kind in seinem Bettchen,

eine Mutter, die verzweifelt mit den Armen abwehrend schützend davor stand

und den Tod, als Skelett mit schwarzem Umhang und Sense.

Meine Mutter holte oft dort Medikamente für sich ab und sagte jedes Mal:

"Dich holt er auch eines Tages, wir sind alle mal dran!"

Der Gedanke löste schreckliche Ängste in mir aus...

 

Als ich noch keine vierzig Jahre alt war, leitete ich administrativ ein Hospiz.

Der Tod begegnete mir nun oft. Wenn ich als Schwester einsprang.

Die Notrufe der Angehörigen eingingen. Ich zu Sterbenden gerufen wurde.

Da war kein Sensenmann. Nur so etwas wie Kälte und Stille.

Wenn ein Mensch, der eben noch geatmet und sich bewegt hatte,

plötzlich ganz starr da lag. Und nur noch ein Körper war.

Ich hatte dann immer das Bedürfnis ein Fenster zu öffnen.

Damit die Seele hinaus konnte.

Und eine Kerze anzuzünden. Als Symbol für das Licht.

 

Auch privat war zu diesem Zeitpunkt der Tod oft mein Gast gewesen.

Er hatte meine Familie radikal dezimiert.

Sie bestand nur noch aus mir, meiner Tochter und meinem Sohn.

Umso mehr bedeuteten mir meine Kinder, sorgte ich mich um sie.

Was würde eines Tages aus ihnen werden? Welche Träume hätten sie?

Würden ihnen eigene Familien geschenkt werden?

Blieben sie gesund und würden jung bleiben, beim alt werden?

Gedanken wohl jeder Mutter. Wenn die Kids Flügel bekommen.

 

Für mich selbst dachte ich noch nicht viel an später.

Ich hatte ja gerade erst ein halbes Leben um, eher weniger.

In einer Pflegezeitschrift las ich damals Sätze, die mich berührten.

Würde ich irgendwann das Gefühl haben etwas versäumt zu haben?

Das Leben falsch gewichtet, zwischen Ernsthaftigkeit und Spaß?

Schon damals ärgerte es mich, nicht mehr Sprachen erlernt,

nie im Ausland gelebt zu haben, das hätte ich als Teenie gern getan.

Für manches war es zu spät. Aber die zweite Lebenshälfte kam ja noch!

 

Heute weiß ich, dass alles ganz anders kommen kann.

Wie kurz das Leben mitunter ist. Und, dass es nicht immer nur die anderen trifft.

Noch ist kein amtliches Todesurteil gesprochen. Geht der Ernter nicht um's Haus.

Und so lange das so ist, lebe ich. Mache Pläne.

Träume immer noch von einem kleinen Zimmer in Porto mit Zeichenblock,

 Blick auf den Douro und nächtlichem Motorenklang der auslaufenden Fischerboote.

Ich habe oft gelacht. Getanzt. Bin gereist. Habe geliebt. Mich an der Welt erfreut.

Vielleicht hab' ich noch Zeit. Ich vertraue. Wie es kommt, so wird es richtig sein...

 

 

Von unbekannt (auch wenn oft anders angegeben), es sind die Sätze von damals:

 

"Wenn ich mein Leben noch einmal leben dürfte,
würde ich versuchen mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen, mich mehr entspannen.
 
Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich es gewesen bin,
ich wüsste nur wenige Dinge, die ich wirklich sehr ernst nehmen würde.
Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,
ich würde mehr Berge besteigen und mehr Sonnenuntergänge betrachten.
Ich würde mehr Eis und weniger Salat essen.
 
Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens vorausschauend und vernünftig leben,
Stunde um Stunde, Tag für Tag.
 
Es gab schöne u. glückliche Momente, aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.
Falls Du es noch nicht weißt, aus diesen besteht nämlich das Leben:
nur aus Augenblicken, vergiss nicht den jetzigen!
 
Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an, bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
Ich würde vieles einfach schwänzen,
ich würde öfter in der Sonne liegen.
 
Aber siehst Du … ich bin 85 Jahre alt und weiß, dass ich bald sterben werde."