Wir schreiben das Jahr 2003. Mein Leben ist zusammengebrochen, alle Fundamente sind zu Staub zerstoben. Gerade lebte ich noch meinen Traumjob, tobte mit meinem Kickboard durch die große ehemalige Eisenbahn–Reparaturhalle, die nun mit Waren in Hochlast–Schwerregalen gefüllt ist, die uns aus einem fernen Kontinent nach einer dreimonatigen Seereise in Containern erreichen.

 

 

Wenn sie denn rechtzeitig bestellt wurden. Von meinem Chef. Chaotisch, drogenabhängig, ge- stört in vielerlei Hinsicht. Die Kunden wenden sich bald in erster Linie direkt an mich, ich infor-miere, verkaufe, kümmere mich um das Controlling in Pakistan. Die Umsätze vervielfältigen sich, es geht um immer mehr Millionen an Umsatz. Das macht mich stolz, verschafft Anerkennung.

Auch ich verdiene gut daran. Da ich rund um die Uhr arbeite. Manchmal schlafe ich auf den mit Verpackungsfolien gefüllten Müllsäcken, zugedeckt mit meiner Jacke. Es hätte sich nicht gelohnt heimzufahren, in die Nordheide. 1 ½ Stunden hin. Genauso lange zurück. In dieser Zeit kann ich besser arbeiten. Um Geld zu verdienen. Niemand kann sagen was morgen ist. Schnell könnte alles vorbei sein…

So kommt es. Aus der großen Anerkennung („Gabriele, ich bewundere Dich ungeheuer!“) wird ebenso starker Hass. Weil ich zu viel weiß, Macht habe. Nach der telefonischen Warnung eines Verbündeten bringe ich mich in einem Krankenhaus in Sicherheit. "Burnout" nimmt man mir so- fort ab. Liegt ja auch so nahe. "Mobbing" auch irgendwie. Schlafstörung. Posttraumatische Be-  lastungsstörung. Keiner kommt auf die wahre Diagnose. War es gut so? Was wäre wenn?

Ich sichere mich ab. Deponiere Unterlagen mit meinem Wissen bei Vertrauenspersonen. Anwalt, Hausärztin, Psychologen. So einfach mache ich es niemandem mich aus dem Weg zu räumen!  Ich soll keine Lohnfortzahlung bekommen, keinen ausgezahlten Urlaub, keine ausstehenden Provisionszahlungen. Das hat bisher immer so funktioniert. Nie hat sich jemand getraut seine Forderungen einzuklagen. Ich tue es auch nicht. Aus vielerlei Gründen. Es gäbe einen Erdrutsch. Den jene Menschen nicht verdient hätten, die brav ihre Stunden abarbeiten, kleine Rädchen im Getriebe sind. Nichts ahnend von all' den Geheimnissen hinter der Maske des Legitimen…

So kämpfe ich buchstäblich um mein Leben. Und um meine Zukunft. Einen Anwalt kann und will ich nicht einschalten. Nachts entwerfe ich also Schriftsätze, korrigiere sie am Tage. Neben dem Klinikalltag. Immer die Fassade von Stärke aufrecht erhaltend. Um nicht unterzugehen. Wie etliche Patienten um mich her.

An sogenannten Belastungstagen (Wochenenden daheim) verstecke ich den Berli am Waldrand, laufe zur Wohnung, tippe meine Briefe mit klaren Kostenaufstellungen. Niemand soll mir einen Cent schenken. Aber betrogen will ich auch nicht werden. Nur das erhalten, was ich mir mit Fleiß erarbeitet habe.  Natürlich spielt dabei mein Wissen eine große Rolle. Es ist mein einziges Druckmittel. Und ich es setze es ein. Alles oder nichts! Am Ende steht der Sieg. Ich bekomme  war mir zusteht! Doch welchen Preis habe ich dafür bezahlt?!

Es ist gut nicht zu wissen, was alles noch kommen wird. Ich denke an meine Karriere mehr oder weniger nahtlos anknüpfen zu können. Aus Leitungsfunktion in Leitungsfunktion. Wie albern! Nach 3 Monaten Krankenhausaufenthalt wartet nichts und niemand jobmäßig auf mich. Logisch. Wie ich es viel später einsah. Ich bin damals 49 Jahre alt. Mit Burnout. Wer sollte mich vertrau-ensvoll einstellen? Also bin ich krankgeschrieben. Besuche 3x in der Woche völlig sinnfrei nach- mittags eine Patientengruppe im Krankenhaus. Habe extrem das Gefühl dort total verkehrt zu sein. Und kann mich doch nicht wehren. Vielleicht bin ich ja nur "krankheitsuneinsichtig"?! Nach weiteren Monaten wechsle ich in eine begleitende Psychotherapie. Was begleitend? Meine Nicht-arbeitszeit? Darüber geht der Sommer hin und ich werde 50. Ein Meilenstein für mich. Irgend- wie.

In einer Nacht Mitte August läutet das Telefon. Das hat nichts gutes zu bedeuten. Eine zitternde Stimme am Telefon: "Mama, kannst Du uns holen?" Ich frage nicht nach. Rechne. "In einer Dreiviertelstunde kann ich bei Euch sein, ich muss mich erst anziehen. Alles wird gut, ich bin gleich da!" Bald darauf rase ich im Berlingo durch die Dunkelheit gen Hamburg. Sammle meine blasse, verweinte Tochter und den schlafenden Enkel ein. In eine Decke gewickelt trage ich den tief schlafenden Kleinen schützend im Arm haltend die vielen Treppenstufen hinunter. Werde die schöne große Altbauwohnung erst Monate später wiedersehen, als unsere kleine Familie mit dem tapferen Berli das Hab und Gut abtransportiert, wie erst knapp zwei Jahre zuvor dort hin.

Es ist, wie es ist. Eltern verstehen. Lieben. Helfen. Bieten Halt. So, wie es sein sollte. Mein Enkel freut sich am Morgen: "Omi, ich bin ja bei Dir?!" Wir reden darüber Ende Januar dieses Jahres, als ich mich mit ihm in Bremen treffe. "So war das also? Nur ganz von fern erinnere ich mich noch! Aber jetzt, wo Du Details erzählst..."

Ich frische die Erinnerungen auf. "Weißt Du noch, dass wir im Urlaub waren danach?" Meine Tochter wurde 30. In Ostfriesland wird das spektakulär gefeiert mit so einigen Zeremonien. Nun gab es nur den Schmerz einer dramatischen Trennung. Mit einem Kind zwischen mahlenden Mühlsteinen.  Mir kommt die Idee einer Luftveränderung. Wo waren wir noch nicht? Aha. Ein Zimmer findet sich dort. Alles ist fern. Und bleibt doch nah. Wir besichtigen Burgen. Viel Natur. Feiern in beleuchteten Parks, besichtigen Barockgärten. Durchkämmen mit dem Auto die ganze Region.

Eine Stadt, Weltkulturerbestätte der UNESCO hat es mir sofort angetan. Der helle Wahnsinn! Wenn man morbiden Altstadtcharme liebt. Wir durchstreifen die kleinen Gassen, bewundern all' die Gebäude von groß bis klein, die Brunnen und Plätze. Als eine mächtige Kirche in unser Blick- feld tritt, da nehme ich mir eine Auszeit. Meine Tochter raucht, der Kleine spielt in der Sonne. Ich betrete den stillen Raum mit den bunten Fenstern. Bald schiebt sich eine schmale Hand in meine. "Wohnt hier der Herr Jesus?" "Hier und überall, er ist immer bei Dir und passt auf Dich auf!"

Es gibt viel anzuschauen und leise erkläre ich an dieser und jener Stelle, was ich so zu erkennen vermag. Ganz hinten steht ein eindrucksvolles Taufbecken. "Wofür ist das?" Mir fallen (hoffent- lich) einfache Worte dazu ein. Die so intensiv blauen Augen schauen mich noch immer fragend an. "Papa  sagt, dass ich nicht in den Himmel komme, wenn ich sterbe, weil ich nicht getauft bin!"  Das macht mich sehr traurig. Wie grausam können Eltern sein, ein Kleinkind so zu er- schrecken? "Weißt Du, mein Schatz, Gott schaut nicht darauf, ob Du ein solches Papier hast, er liebt Dich so, wie Du bist, da bin ich mir ganz sicher!"

Wir streben dem Ausgang zu, kommen an einem steinernen Altar vorbei, der über und über mit gelben "Pin it"–Zettelchen bedeckt ist, jedenfalls im unteren Teil, so weit Arme reichen. Daneben steht ein Holztisch, auf dem Bleistifte und Zettel liegen. Ich möchte einen beschriften. "Ich auch, Omi, darf ich einen Wunsch darauf schreiben? Den verrate ich auch nicht, sonst geht er nicht in Erfüllung!" Begeistert malt die Kinderhand, eilt zum Altar, klebt auf, kehrt zurück. "Darf ich Deinen Zettel auch ankleben?"

Es dauert noch einen Moment. "Bitte pass' gut auf meine Kinder auf." Das hatte ich schon ge- schrieben. Da fiel mir ein, dass man mir gerade beigebracht hatte, ich solle mehr an mich den- ken. Also fügte ich hinzu: "Und zeige mir den Weg, den ich gehen soll." Das gelbe Klebchen fand seinen Platz. Ich wollte nachschauen, ob es auch fest verankert war und suchte es mit meinen Blicken. Auf dem Zettel darunter stand (quasi in Fortsetzung meines Satzes): „Herr, ich danke Dir, dass du mich auf meinem Jakobsweg beschützt hast."

 

 

Das war der Samen für das Feld der Zukunft! Wohl noch nie hatte ich eine so rasche und leicht verständliche Antwort auf ein Gebet bekommen. Nach meiner Rückkehr kaufte ich mir ein Buch. Und nahm mir vor, eines Tages auf diesen geheimnisvollen, fernen Weg zu gehen.  Nach dem Ende meines Arbeitsleben. Vielleicht ja sogar schon ein Jahrzehnt später. Doch es kam ganz an- ders…

Auf 18 Monate Krankschreibung folgten 4 Wochen Kur und 12 Monate Arbeitslosigkeit. Und damit der Absturz ins Bodenlose. Keinerlei Einkommen, keine Krankenkasse. Das ganz große, ganz schwarze Nichts. Beratungsstellen en masse. Hilfe null. Nach einem halben Jahr ohne alles und voller Angst vor einem vereiterten Kiefer oder ähnlichem Unbill gab ich auf, druckte mir in einer der unzähligen schlaflosen Nächte einen standardisierten Rentenantrag aus, wühlte alle Akten nach Daten und Unterlagen durch, schrieb, korrigierte, ergänzte, füllte aus.

Am Morgen fühlte ich mich wie gerädert, erforschte die zuständige Annahmestelle für meinen Landkreis, deren Öffnungszeiten, verpackte alles wasserfest und radelte durch Sturzregen viele Kilometer weit zur angegebenen Behörde. Die Sachbearbeiterin war freundlich, aber unerbittlich. "Den Antrag auf Krankenversicherung für Rentner müssen Sie aber mit abgeben, ohne geht es nicht! "Und wenn mir die Rente abgelehnt wird? Dann bin ich krankenversichert mit Eigenzah- lung, dieses Geld habe ich aber nicht!" Sie zuckte bedauernd mit den Schultern. Ich unterschrieb auch dieses Formular.

Nun konnte ich in Teufels Küche geraten. Denn ich hätte nicht nur fortlaufend über 300€ mo- natlich zahlen, sondern auch die Fehlzeit von einem halben Jahr nachzahlen müssen. So waren die Bestimmungen damals. Ich schlich durchs dunkle runde Treppenhaus hinunter. Zitterte voller Angst vor dem Mut, den ich gehabt hatte. Er konnte mich retten. Oder mich vernichten. Nun hatte ich buchstäblich ALLES auf eine Karte gesetzt, meine ganze Existenz.

 

Die gläserne Drehtür spuckte mich aus, direkt in die Welt mit dem Himmel, an dem raben-schwarze Wolkenungetüme dahinzogen. Ich war noch nass vom Hinweg und schaute sorgenvoll nach oben, denn es stand mir ein unerfreulicher Rückweg bevor. Doch gerade in diesem Mo- ment (oder besser Augen–Blick) riss die dunkle Decke über mir auf und Sonnenstrahlen brachen hindurch, sie schienen mir ins Gesicht und ich dachte aus dem Nichts heraus (oder empfand ich es mehr?):  Siehe ich bin bei dir bis an der Welt Ende. Seltsam!

Diese Worte berührten mich zutiefst. Besonders, da ich mir nicht erklären konnte, woher sie ka- men. Ich dachte darüber auch nicht mehr lange nach, da ein wahres Unwetter losbrach. Ich rannte zum Fahrrad, dass ich abgeschlossen und an eine Mauer gelehnt hatte. Jetzt sah ich, dass sie zu einer kleinen, uralten Kirche gehörte. Der peitschende Regen trieb mich förmlich hinein.

 

 

Zögerlich ging ich ganz an der linken Wand vorbei an den Bankreihen, auf einen eisernen Dorn- busch zu. Der in einem Becken mit Sand steckte, in welchem Kerzen brannten. Auch ich spen- dete eine Münze und entzündete eine Flamme. Wünsche gab es viele. Eine glücklichere Zukunft betreffend. Mit gesenktem Kopf rutschte ich in die zweite Bankreihe. Wie ich es in Kirchen im- mer tue. Ich erzählte von meiner Angst und Not. Wie sehr ich mich fürchtete vor der Schlacht, die nun bald losbrechen würde. Wieder eine. Ich war müde, zermürbt, traute mir keinen Kampf mehr zu. Was würde aus mir werden?

 

 

Fragend sah ich auf zum Altar. Auf dem weißen Deckenbalken stand der Schriftzug:

 

Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

 

Das konnte ich einfach nicht fassen und brach in Tränen aus. Von der Existenz dieser Kirche hatte ich nichts gewusst, geschweige denn diese Inschrift gekannt. Mir wurde klar, dass eine tiefere Bedeutung dahinter stand. So legte ich in dieser Situation mein Gelöbnis ab: "Sollte mir die Rente zugesprochen werden (denn sonst bin ich ganz ohne Mittel und es wäre unmöglich), werde ich mich auf den Pilgerweg nach Santiago machen, das verspreche ich hiermit. Ganz gleich was geschieht, ich werde nicht nachlassen, bis ich dort vor dem Altar stehe!"

Vier Wochen später wurde ich 53 Jahre alt. Völlig sinnfreie Jahre waren vergangen. In denen ich nur Geld gekostet hatte. Anstatt zu arbeiten und Steuern sowie Rentenbeiträge zu zahlen. Nun musste es andersherum gehen. Gutachten über Gutachten hatte ich überstehen müssen. In je- dem gekämpft um eine berufliche Wiedereingliederung. Immer wieder ohne Erfolg. Von: "Ist so- fort in den Arbeitsmarkt integrierbar, Fördermaßnahme überflüssig!" bis "Förderung nicht ange- sagt, da Patientin wegen ihrer schweren Erkrankung dieser nicht zu folgen imstande sein wird!" Zwei absolut gegensätzliche Beurteilungen binnen sechs Wochen erstellt! Manchmal habe ich vor Bitterkeit gelacht und geweint gleichzeitig. Deutscher Gutachter–Wahnsinn!

Ich war also mal zu gesund, dann wieder zu krank um mich mit einer beruflichen Reha zu coachen. Nun ging es andersherum. Jetzt musste ich krank sein. In meiner Not drehte ich den Spieß also um. Es dauerte sechs Wochen bis zum ersten neuen Gutachten. Inzwischen hatte ich dazu gelernt, mir Wissen angelesen, wo ich es nur fand, das Internet nächtelang durchforstet, die Bücherei geplündert. Ich wachte neben Stapeln von Gesetzesliteratur auf und schlief neben ihnen ein. Der Kopf brummte mir von all' den Informationen, Texten und Notizzetteln. Es gab nur diese eine Chance und das wusste ich nur zu genau!

Zum Gutachten begleitete mich dieses Mal meine Tochter. Nie ohne Zeugen, das hatte ich inzwi- schen begriffen. Zu spät? Sie, als Sozialpädagogin, war geradezu prädestiniert für diese Aufga- be! Wir witzelten. Eine graue Dauerwelle auf dem Kopf würde sich bei mir besser machen. Fal- tenrock, Gesundheitsschuhe, Handtasche. Oder besser Gummistiefel? Wir lachten. Galgenhumor. "Mum, Du siehst definitiv viel zu jung aus für eine Verrentung. Es kann nur so laufen, wie Du denkst. Sie haben sich selbst ein Bein gestellt!"

Es wurde schwere zwei Stunden. Voller Beherrschung. Angespannter Aufmerksamkeit. Nur nicht den allerkleinsten Fehler machen! Eine Extremsituation für jeden Asperger Autisten, wie ich heu- te weiß. Damals wusste ich es aber nicht, spürte nur wie mir Hände und Beine zitterten, das Herz im Hals schlug. Ich habe wohl alles richtig gemacht. Als der Gutachter seine Mappe mit den vielen ausgefüllten Zetteln zuschlug, schaute er mich über den Rand seiner Brille kopfschüt- telnd an und sagte: "Was ich nicht verstehe ist, warum man Sie nicht gleich verrentet hat? Was sollte das alles?" Ich war die Letzte, die darauf eine zutreffende Antwort wusste!

Im Flur fragte ich meine Tochter: "Was meinst Du wie es ausgeht?" Sie lächelte. "Ach Mum, es wird alles gut! Du hast doch gehört, was er gesagt hat…" Wieder gingen viele Wochen ins Land. Dann kam der Bescheid der Rentenversicherung. Ich war verrentet! Rentenbeginn (also 1. Zah- lungstermin) im Dezember, ein halbes Jahr nach Antragstellung. Ich bekam eine Krise. Das konnte doch nicht sein?! War doch völlig unmöglich?! Wieder lesen, forschen, notieren, weiter informieren. Doch, tatsächlich, ein halbes Jahr nach Feststellung der eingeschränkten Erwerbs- fähigkeit. Und das war der Casus knacksus. Man hatte mir die berufliche Reha ja eben gerade mit dieser Begründung abgelehnt und dieser Termin lag weit vor meinem Antrag. Erneut ein seitenlanger Brief. Dieses Mal mit einem eingescannten Foto. "Ich bin mehr als das Aktenzeichen XYR 2505", schrieb ich, "ich bin ein Mensch. Am Ende seines Geldes und seiner Kräfte."

Noch einmal führte ich alles auf mit genauen Daten. Was, wann, warum, wie entschieden. Und das Unfassbare geschah: Ich, die Frau ohne Anwalt, ohne Beratung, ohne Background bekam Recht zugesprochen. Rentenzahlung und Krankenkasse ab Antragstellung! Niemals werde ich den Moment vergessen, als ich den großen, gelben Umschlag öffnete, die ersten Sätze las. Ich schrie. Alles aus mir heraus. Die ganze Verzweiflung, die Angst, die Erlösung der langen Zeit. Die vielen Blätter segelten mir vom Schoß auf den Boden und ich darauf nieder. Lange hab ich noch geweint.

Zwei Jahre waren mir gewährt. Mit wenig Geld. Aber immerhin. Ein halbes Jahr davon war nun also bereits abgelaufen, ein halbes Jahr vor Ablauf stünde das nächste Gutachten an zur Nach- prüfung. Aber immerhin ein Jahr lang hatte ich nun Ruhe, war ich ein wenig frei. Und auch für einen Weg sprangen nun alle Türen auf: Den Camino de Santiago.

Aber es war zu spät im Jahr, um noch loszugehen. So begann ich damit, mir gebrauchte Aus- rüstungsgegenstände über eBay zu ersteigern, erfreute mich an jedem Teil, lief die alten Stiefel auf meine Füße ein, meldete mich im Forum an, las alles, was ich nur finden konnte. Die Stra- ßen und Wege der Nordheide eroberte ich mir nun zu Fuß, statt mit dem Rad. Ich betrat zum ersten Mal "Globetrotter" (wir erinnern uns: "Übergewichtige Seniorin im Trekkingwunderland"), Outdoorkataloge kamen in mein Blickfeld. Ich buchte eine im Forum entdeckte PKW-Fahrge-meinschaft ab Heidelberg nach Südfrankreich. Lernte die Welt der Weblogs kennen. Bekam ein Medaillon aus Lourdes von einem Jakobspilger geschickt, als Schutz unterwegs. 

Und stand am 14.April 2007 gegen Mitternacht mit meinen Kids am Busbahnhof Hamburg. Es war der Aufbruch zur Rückkehr ins Leben. Und wurde zugleich ein größerer Umbruch, als ich es mir damals hätte ausmalen können. In meinen schönsten, oder aber auch finstersten Träumen. Auf alles hatte ich mich vorbereitet, geplant und bedacht, was nur möglich war. Nur eines hatte ich völlig ignoriert: Der Jakobsweg besteht aus Menschen. Zu allererst daraus! Und eben sie wurden mir zum Schicksal…

 

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In den letzten Wochen war ich zwei Mal sehr krank. Hatte dadurch viel Mut und Kraft verloren. Auch der PC kränkelt, klingt oft, als schreddere er sich. Mal schauen, wie lange wir nun beide durchhalten, der Alte und ich. Heute habe ich mich aufgerafft den ganzen Tag ohne Bett zu ver- bringen. Mich um ein Haus gekümmert. Wieder einmal eines, das vom Preis her passen könnte, in vielem anderem auch. Aber es ist weit fort vom Meer. Keine Schiffe mehr, Möwen, oder Was- ser. Aber Weltkulturerbe. Eine Stadt voller Leben und Touristen, wunderschönen, alten Häusern. Mit Bahnstation, Bank und Krankenhaus.  Lange habe ich mir alles aufgeschrieben, den Monat durchgerechnet, ob das Geld für ein Niedersachsenticket reicht. Nachgedacht. Die Entscheidung ist gefallen.

 

Die Objektnummer ist mein Geburtstag und die Hausnummer die 25. Netter Zufall?!

In der nächsten Woche schaue ich mir das Haus an. Ja!

 

 

 

Eine mächtige Kirche und ein steinerner Altar stehen nebenan. Jetzt ohne Zettel.

FÜRCHTE DICH NICHT! Es wird so geschehen, wie es vorgesehen ist für mich...

 

 

 

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