Aktuell erwarte ich die Antwort auf eine SMS. Wieder einmal. Oder immer noch? Darum nur wenige Zeilen, ich bin zu angespannt.

-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

Es schneit in dichten Flocken. Wir machen uns auf gen Innenstadt. Wieder sehe ich die seltsamen Stein-skulpturen, die ich vor ein paar Wochen fotografiert habe. Unterwegs, um ein billiges Haus zu besichtigen. Damals schien die Sonne, viele junge Menschen saßen auf den Wiesen, jemand spielte Gitarre, Hunde tob- ten balgend herum. Nun ist es kalt. Alle Farbe ist von den Skulpturen abgewaschen, sie tragen jetzt Kronen aus Schnee. Wohin? ER war noch nie hier, also verbleibt die Entscheidung bei mir. Kneipen ohne Ende, FastFood - Buden. Kaum Orte, um sich in Ruhe zu unterhalten.

 

 

Kramen in der Erinnerung. Irgendwo ist hier doch KARSTADT mit seinem hauseigenen "Le Buffet"?! Früher hieß es noch "Erfrischungsraum" und die Preise waren halb so hoch. Lange vorbei. Ich fühle mich wie eine hundertjährige Schildkröte, deren Zeit längst vorbei ist. Oder gerade erst? Wir stöbern auf dem beleuchte- ten internen Wegweiser. Ab nach oben also. Sieht ordentlich aus, ist aber völlig überfüllt, offensichtlich ist es die total verkehrte Zeit, um Ruhe zu erwarten. Wir finden die Automaten. Kaffee ist immer gut. Knöpfe, diverse Tassensorten. Werde ich mich zurechtfinden? Verstohlener Blick auf die Preistafel. Schluck...

"Aber du bist doch eingeladen, Ehrensache!" Der lächelnde Mann vor mir an der Kasse hatte das verkehrte Gefäß erwischt und spart nun etwas. Ich lächele ein wenig in mich hinein. Offenbar falle ich doch nicht auf Anhieb als tolpatschig (und aus der Provinz kommend) auf. Es findet sich ein Raum etwas abseits, mit frei- en Tischen. Das passt. Wie fängt man an? Oder besser nicht? Ich habe mir im Zug vorgenommen ICH zu sein und zu bleiben. Wenn ich permanent daran denke, was ich besser nicht aussprechen sollte und was auf gar keinen Fall, wäre ich nur noch ein Abziehbild meiner Person. So will ich nicht sein.Das widerspräche al- lem, was ich inzwischen über mich verstanden habe. Also "Vabanque". Alles oder nichts. Das war schon immer meine Maxime.

Sich zu unterhalten erweist sich als unkompliziert. Aufatmen. Das große Gefühl von Freiheit. Alles ist gut. Wir lächeln, lachen, sind ernst. Es tut gut, alles sagen und fragen zu können, ohne Sorge um Komplikatio- nen. Bitte auch umgekehrt. Brücken bauen ist einfach. "Weißt du noch?" Erinnern. Puzzlestücke zusammen- setzen. Bilder entstehen lassen. Und zeigen. Sie wurden gerade im Keller gefunden. "Zufall"? Sicher nicht. Alles ist vorherbestimmt. Ernst werden sie angeschaut. Und bewertet. "So war es also einmal?!"

Viel Mut zusammennehmend stelle ich jene Fragen, die mir auf der Seele liegen. Und auf der Zunge. Ant- worten. Manchmal erstaunt. Nachfragen. "Wie war das eigentlich, damals?" Damals, als alles begann. Das Glück und jegliches Unbill. An eben jenem Tag, da ich im Flugzeug saß, retour von meinem Jakobsweg. Dem allerersten. Dabei war kein Platz im Flugzeug ab Santiago in Sicht, auf viele Tage nicht. Aber ich hatte  ein ungeheures Gottvertrauen. Das sich als richtig erwies. Ich erhielt im allerletzten Moment den Platz eines Weggefährten, der es nicht schaffte den Flugplatz rechtzeitig zu erreichen. "Zufall?!"

So konnte ich auch erst kurz vor knapp an meine Kids simsen: "Lande heute, um 23.30 Uhr Hamburg. Bitte abholen, kann so spät nicht mehr in die Nordheide kommen. In Liebe, Mama". Dies war der Anfang von al- lem. Von dem, was meine Familie zerstört hat. Zu dem mir stets der Schlüssel gefehlt hat. Im Prinzip heute noch. Nur Bruchstücke des Dramas, das sich daraufhin abgespielt haben muss, hab' ich bis heute erfahren. Lange daran geglaubt, irgendeine Schuld auf mich geladen zu haben. Aber hätte/hatte ich nicht auch meine Kids stets vom Ende der Welt abgeholt?

Nach sechs Wochen unter vielen Menschen saß ich nun allein in der Maschine, war irgendwie befremdet von dieser Situation. Wo waren die neugewonnenen Freunde? Sie flogen gerade in viele verschiedene Rich- tungen, wie ich schmerzvoll bemerkte. Ich stöpselte meine Kopfhörer ein und rettete mich in die Welt der Musik. "Rosenstolz" wählte ich als Kanal, kannte den Namen aus den Medien, aber hatte nie einen Song an- gehört. Nun tat ich es. Wurde berührt. Weil ich jetzt eine große Liebe in meinem Herzen trug. Zu der es ei- ne Entscheidung geben musste. Dafür, oder dagegen. 

So stellte ich diese Frage ohne Worte. Mir? Gott? Ich weiß es nicht. Nur, dass ich (übermüdet wie ich war) offenbar darüber einnickte. Und aufschrak, weil ein Raunen durch die Maschine ging. Ich folgte den Blicken der Mitreisenden, sah hinaus aus dem Fenster und erblickte ein flammendes, tiefrotes, pulsierendes Herz, wie aus glühender Lava. Vermutlich war es nur eine Sonnenreflektion. Aber für mich soviel mehr: Die Ant- wort auf meine Frage. Wage es!

Am Flughafen erwartete mich mein Sohn. Anders als sonst. Angespannt, ernst, wortkarg. Dem war einiges vorhergegangen, was ich nur bruchstückhaft bis heute weiß. Wenn man meinem Glauben folgt, so wird man sagen: Auch dies musste so sein. Es gab keinen anderen Weg. Daran zerbrach die Familie. Löste sich der zuvor unerschütterliche Zusammenhalt in bittere Scherben auf. Nun reden wir darüber. Neues Erstau- nen auf beiden Seiten. Und noch mehr, als ich erfahre, was wohl ebenfalls so bestimmt war:

 

Da ist ein Mensch bald unterwegs in die Fremde, hat alles aufgelöst, gekündigt,

was bisher sein Leben ausgemacht hat. Ziel: INDIEN. Es verschlägt mir die Worte...

 

 

 

Sag' mir bitte: Wie weit ist mein Weg zu Deinem Glück?

Sag' mir bitte wie weit, wie weit, wie weit muss ich noch geh'n?