Die gestrigen Stunden der "Straßenkosmetik" haben sich (wie erwartet) gerächt. Mein ewig angeschlagener Rücken hat sich für seine heftige Inanspruchnahme herzlich bedankt und mir zur Strafe eine Schmerzorgie gesandt. Stille Drohung: "Wehe Du schonst mich nicht, ich kann auch anders! Möchtest Du wieder hinter einem Rollator humpeln?" Nein, durchaus nicht. Also warf ich mich (ganz vorsichtig natürlich) auf's Bett und verbrachte den Rest des Tages mit einer Wärmflasche unter der Lendenwirbelsäule. Ja, man wird durch Schaden klug, oder es handelte sich schlicht um einen intensiven Fall von schlagartig eingetretener Alters- weisheit, lächel...

Mit dem festen Vorsatz die Nachbarn heute toben und lästern zu lassen (ich hör' es ja nicht!) warf ich vorhin einen Blick auf den Bürgersteig. Vorsichtshalber aus sicherer Entfernung, nämlich aus dem Giebelfenster heraus. Da fragt man sich dann, warum man sich am Vortag so geschunden hat, denn es schaut aktuell so aus:

 

 

Dazu muss man wissen, dass es schon seit der Nacht wie aus Kübeln schüttet, der Wind heulend durch die Straßen fegt und die Temperaturen unterirdisch sind. Um Anwohnerin des Monats zu werden sollte ich nun dringlichst mit dem Besen nach draußen eilen und meine Sammelsäcke füllen. Aber (wer wollte es mir auch verübeln), ich bin noch dergestalt bedient von gestern, dass ich das Fenster zugeklappt hab' und so tue, als wäre mein Name Hase. Oder Affe, unter dem Motto: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen...

Wenn man so auf die Böen lauscht und die Regentropfen auf den Sprossenfensterscheiben leise monotone Lieder singen, fallen mir heimelige Dinge ein. Man könnte (z.B.) einen schönen heißen Kaffee trinken, die letzten Kekse auspacken (es ist auch sonst nichts Eßbares mehr im Haus offen gestanden, da der gestrige Einkauf wegen mangelnder Gehfähigkeit ausfallen musste). Die Mediatheken im Internet halten eine wahre Fülle an spannenden Dokus bereit (also reise ich erst einmal mit nach Gent) und dann wartet da ja auch noch ein Karton. Mit einer begonnenen Handarbeit. Was könnte schöner sein, an einem solch' november-haften Tag. Also wird's kuschelig bei mir:

 

 

Wie man sieht, habe ich meinem alten IKEA - Bett eine Krone aufgesetzt, liebe viele dicke Kissen, nutzte meine allererste "aufgemöbelte" Kommode als Nachtschrank, brennt zwangsläufig schon tagsüber ein Licht (11W Energiespar), lehnt am rosa Teil meine Wärmflasche, finden sich darauf Kekse, Kaffee, zwei Frösche (in Erinnerung daran, nie mehr einen Vertreter dieser Spezies dead or alive zu küssen!), meine Nachtlek- türe "Verliebt in Portugal" (haaach...), meine seit dem Camino nicht mehr benötigte rote Armbanduhr und ein Foto von mir und meinen Kids am ZOB Hamburg 2009 entstanden, beim Aufbruch zum 3.Jakobsweg. Und was liegt da auf der Teddyplüschdecke? Omas Quadrate:

 

 

Man könnte nun sagen, dass meine Wahrnehmung irgendwie gestört ist, denn was da liegt ist eindeutig rund. Stimmt. Noch! Denn es handelt sich um eine Fleißarbeit, die aus 216 Einzelteilen besteht und am Ende eine Decke werden soll. Entstanden aus Grannys Squares, abgekürzt schlicht GRANNYS genannt. Vermut- lich entstanden, da sparsame (und eher arme) amerikanische Siedlerfrauen von ihren zahlreichen Stricke- reien und Häkeleien Wollreste übrig behielten. Und diese einer Verwendung zuführen wollten. Also im Prin- zip eine Resteverwertung. Und voll dem Nachhaltigkeitsgedanken entsprechend, zu dem viele Menschen heute total den Faden verloren haben.

Aus Grannys entsteht alles, was man irgendwie in Form bringen kann. Kissen, Rollen, Kaffee- und Eierwär- mer , Obstkörbchen, Mützen, Brillenetuis, Tischläufer, Beutel und Taschen, Schals, usw. usw. Mal mehr oder weniger im Trend. Nun hat man sie wieder hervorgekramt (also die Dinger und die Ideen dazu) und bringt sie aufgehübscht und mit aktuellen Farben auf den Stand des heutigen Geschmacks. Es gibt neue Bü- cher zum Thema und im Internet finden sich zahlreiche Anleitungen.

Was allen mehr oder weniger deutlich zu entnehmen ist: Man sollte für Grannys Geduld mitbringen. Bei manchen reicht sie wohl nicht einmal für eine Handyhülle (schon in sechs Stunden fertig, wenn man das Muster mal gerafft hat). Andere wagen sich an größeres. Oder gaaanz GROSSES. Wie eine Decke. Wer mich kennt ahnt: Es musste gleich das sein sein. Das beschriebene "Feminine Handytäschchen" brauche ich näm- lich nicht. Und meine wenigen gekochten Eier esse ich sofort auf, die brauchen keine Mützchen.

Also wurde der aktuelle Bestand aufgenommen. Meiner Wollreste. Und Kassensturz gemacht. Meiner Fi- nanzreste für den Monat. Das multipliziert mit der Größe des angedachten Schmuckstücks, dividiert durch die Anzahl der Arbeitsstunden, plus Kerzenverbrauch im Herbst, minus Wärmeerzeugung durch Quarzhei- zer, ergab... Nun ja... Aus dem Alter für "quietschbunt" bin ich heraus (die Zeiten rosaner Fleecejacken auf Weitwanderwegen ist 2007 spontan aufgeblüht und hat noch im gleichen Jahr ihr abruptes Ende gefunden). Also galt es den Kompromiss zu finden zwischen Geschmack und Möglichkeiten. Ich einigte mich mit mir selbst auf Meeresfarben. Grün und smaragd für das Meer, hellblau für den Himmel darüber, hellbeige für den Strand und ein (zugekaufter) Farbmix aus diesen Tönen, um keine optische Langeweile aufkommen zu lassen. Am Sonntag ging's los.

 

Laut Anleitung könnte man ein halbes Jahr für die Decke veranschlagen.

Wenn das Wetter allerdings so bleibt... Und der Rücken auch... Dann...

 

 

 

 

 

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