Am Morgen finde ich einen Abholzettel im Briefkasten. Zeitfenster: 13.00-13.30 Uhr. Na super, da freue ich mich aber! Ein privater Lieferdienst. Ich grübele. Ein Einschreiben. Das kann nichts Gutes bedeuten... Der Vormittag ist verloren, da ich wie gelähmt bin. Ab 12 Uhr sitze ich gestiefelt und gespornt leicht deplaziert im Haus herum. Die Abholanschrift findet sich nach kurzer Irritation. EWE ist der Absender, unser Energie- lieferant. Schock. Ich habe alles bezahlt. Ab 1.Oktober werde ich schuldenfrei sein (bei jenen Freunden, die mich vor der Obdachlosigkeit bewahrt haben!).

Ziemlich erschüttert schleiche ich gen Innenstadt. Natürlich ist "das Leben" so. Man muss lernen auf den Wellen des Lebens zu reiten, so hab' ich es mal gelesen. Und genickt. Yes, ist schon klar. Aber nicht immer spaßig! Was mir nun bevorsteht? Der Stromzähler (alt wie Methusalem) soll ausgetauscht werden. Hat vor Jahren schon nicht geklappt. Wie sagten die jungen Monteure damals: "Der ganze gammelige alte Kram muss erneuert werden, hier bricht alles auseinander!" Das willst Du nicht hören wenn Du keine Kohle hast.. Sie erklärten, dass sie einen Bericht schreiben müssten. Ich verfiel in Panik. Bemühte Tante Google. Erfolg: No chance. Die Stadtwerke gewinnen immer! Ich betete, dass man mich vergessen möge. Was tatsächlich geschah! Bis jetzt. Nun bin ich als Karteileiche aufgetaucht. Schluck...

Bedrückt schleiche ich in der Region herum, welche sich in unserer Kleinstadt "City" nennt. Ich würde mir gern eine gut sitzende Jeans kaufen (seit 2013 trage ich eine einzige, die ich von meiner Tochter "abgegrif- fen" habe). In Anbetracht dessen, was mir blühen könnte ist mir die Lust auf alles ziemlich vergangen. Bil- lig ist hier gar nix, außer im Secondhand-Shop der Stadt. Komischerweise hab' ich aber gerade darauf NULLBOCK. Was bleibt in einem Provinznest? Bingo! C&A.

Super diese Massenware! Da steh' ich unglaublich drauf! Es war schon immer mein AlpTraum Klamotten zu tragen, die man an mindestens 50% der Bevölkerung wiederfindet. Mainstream. Da es nichts gibt, außer diesem Billigkram. Möbel: only upcycling. Körperhülle: Billigmist aus Bangladesh. Von rücksichtslos ausge- beuteten Menschen. Das geht mal überhaupt gar nicht!! Aber bin ich selbst denn in einer so gänzlich ande- ren SItuation???

Mit reduzierten Billigshirts finde ich mich in einer sauengen Kabine wieder. Peter klagt, seine Ex würde "shoppen" lieben. Allein dieser Begriff bringt mich schon auf die Palme. "Ich kaufe, also bin ich!"  Geht's noch? Alle Frauen kennen wiederum diese Situaion. Eine Kabine, die nur mit angelegten Armen funktio- niert. Ein Scheinwerfer, der noch die allerletzte Pore gnadenlos ausleuchtet... Mit dem Erfolg, dass ich mich frage, wie ich es je wagen konnte eine Kleinstadtstraße mit meiner ausufernden Anwesenheit zu behellli- gen?! Die bisher angedachten 4 - 5 abzunehmenden Kilos wachsen binnen Minuten auf 14 - 15 Kilos an... An der Kasse erkämpfe ich mir eine beschädigte Jeans (es ist die einzige, welche mir gut passt!) zum Dum- pingpreis von ganzen 7 Euros!

Erschöpft will ich in meine Straße einbiegen. Ahne ich etwas? Schon aus der Ferne leuchtet ein türkisfarbe- nes Shirt. Dass dazu ein Mercedes-Transporter gehört erfasse ich binnen Sekunden. Und kreisele empört um die gerade nicht vorhandene Lampe. Was bildet dieser Mensch sich ein? Die "Alte" antwortet auf meine Mail nicht-da fahr' ich einfach hin!? Ich könnte noch an Ort und Stelle explodieren. Da hilft nur Flucht! Hof- fentlich hat mich dieser dreiste Aufdringling nicht gesehen!!

Ich sause rückwärts, am Delft entlang und hab' Glück. Mein Nachbar Hinni (auch Asperger) werkelt an sei- nem Transporter. Es ist leicht ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Wir reden eine ganze Weile. Ich mag ihn gern. Weil er ist wie ich. Als ich mich sicher wähne, traue ich mich zu meinen Haus (eine Stunde später?), verriegele die Haustür. Nach Minuten klingelt es, ein türkisfarbenes Shirt leuchtet durchs Fenster der neu eingebauten Haustür. Woran der Mann hinter eben jenem Schutz gegen den Rest der Welt der Welt nicht ganz unschuldig ist...

Warum bin ich eigentlich so sauer? Was denkt dieser Typ sich eigentlich? "Eine Antwort auf meine Mail hab' ich nicht bekommen, also geh' ich ihr jetzt mal direkt live auf die Nerven!" Boah, ich bin in Hochstimmung, kurz  vor der Explosion. Dazu bräuchte es echt nur Millimeter. Weiß ER es? Mein Wasserproblem will er re- geln. Reißt den Mist unter dem Waschbecken im Bad der 1. Etage heraus, stellt fest was fehlt. Wir fahren zum Baumarkt. Ich finde was wir brauchen, ganze 2,49 € trennen mich vom Glück. Eine halbe Stunde spä- ter funktioniert alles, was mich jahrelang beschäftigt hat. Welche Erlösung!!

Wir essen den Obstsalat aus den Früchten welche er mitgebracht und ich zubereitet habe. Ich bin froh. Ge- radezu erleichtert. Wir besichtigen die seit vier Jahren zusammenbrechende und nicht nutzbare Hochterras- se. Am Freitagmittag werden wir beginnen sie abzubrechen. Und mit viel Glück am Samstag mit dem Auf- bau einer neuen beginnen. Ich ertappe mich dabei, mir zu wünschen noch oft draußen zu sitzen. Mit Rot- wein und Snacks, unter einem leuchtenden Sternenzelt. Bevor ein neuer Winter hereinbricht. In dem ich mich hoffentlich an einem wunderschönen Jugendstilofen wärmen kann. Notinstalliert in einer kleinen Werkstatt unter dem Dach...

 

Es ist garantiert keine Ideallösung. Aber Gott weiß, was er tut.

"Ich könnte von Freitagmittag bis Montagmorgen bleiben?" Ja!

Er hält mich. Lächelt. Freut sich sichtbar, seine blauen Augen strahlen. 

"Schläft sie neben Dir?" Er verneint energisch. "Alle Gedanken sind bei Dir!" Ich glaube ihm.