Das Umfeld meines Computers räume ich auf, da er sein Erdenleben ausgehaucht hat. Finde ein schmales, schwarzes Heft mit meiner Handschrift, offenbar geschrieben 2013. Lese mich fest. Weil der Text so verdammt gut passt. Immer noch. Zu meinen heutigen Gedanken und Gefühlen, der

gegenwärtigen Situation.

 

Noch ist es nicht Frühling. Regen, Dunkelheit und kurze Tage sind alltägliche Realität. Aber zu träumen ist immer erlaubt. Von Sonne. Wär- me. Der Ferne, an die ich mein Herz verloren habe. Besser gesagt: an eine Stadt, von der ich zuvor nichts wusste, in einem Land, mit dem ich mich nie beschäftigt hatte. Warum? Wegen der Lage am Rande Europas? Weil es nicht in den täglichen Nachrichten vorkam? Keine Rolle spielte in der Weltpolitik?

 

Vielleicht war/ist es eben gerade das. Das richtige Gefühl, mit dem man etwas neu, völlig unbedarft und ohne jegliche Erwartungshaltung begegnet. Man erhebt keinerlei Anspruch, hat keine festgetackerte Vorstellung im Kopf. Alles kann passieren. Oder gar nichts. Warum auch?

 

2013 war es so. Mehr als eintausend qualvoll gelaufene Kilometer quer durch Spanien lagen hinter mir. Und was vor mir? Ziellos war ich, völlig frei. Hatte in Santiago de Compostela nur Regen erlebt und mich zunächst einmal schier endlos ausgeschlafen, in einem winzigen Zimmer- chen an der Kathedrale. Dann war es an der Zeit eine Entscheidung zu treffen. Und da ich die Hö- he der Flugkosten von Linienfliegern gut aus früherer Erfahrung kannte, war klar, dass mir als Startpunkt für Billigflieger in erreichbarer Nä- he nur „Porto“ blieb. Ein purer Name, im Jako- busforum gefunden. Irgendwo in Portugal. Man hätte auch sagen können in Pelargonien oder Chrysantis. Ein Flughafen irgendwo im nirgend- wo. Aber von dort aus würde ich nach Deutsch- land gelangen. In welche Stadt? Egal. An wel- chem Flugtag? Gleichgültig. Nur heim...

 

Das ist (jedenfalls für mich) die beste Ansicht, die man haben kann. Man ist völlig frei und offen. Aufnahmefähig. Unbedarft. Speziell für mich wichtig: Ich hatte keinen inneren Schutz- wall aufgebaut. Mit viel Abwehr. So humpelte ich in Santiago absolut unbedarft zum Busbahn- hof. Wo nach einiger Zeit zwei (!) Busse auf- tauchten.

 

Nach längerer Diskussion stellte sich heraus, dass einer in Portos Innenstadt endete, der andere wiederum direkt zum Flughafen fuhr. So ein Mist aber auch! Hätte ich das vorher gewusst, so hätte ich den Flug online gebucht und mich in dieser fremden Stadt gar nicht erst aufhalten müssen! Nun war es aber nicht mehr zu ändern, mir blieb nur mich zu fügen.

 

Absolut ahnungslos deponierte ich wie vorge-schrieben Rucksack und Wanderstöcke im Bauch des Busses, suchte meinen Platz auf und ver- schlief fast die komplette Fahrt. Als ich erwachte war ich plötzlich geschockt: Wo befanden wir uns? War das noch Spanien, oder längst Por- tugal. Aufgeregt versuchte ich Werbeplakate zu entziffern. Ob für mich lesbar (spanisch), oder eben nicht. „Portugiesisch,“ was war das? Wie klang /schrieb es sich? Das war ein echter Schock. Mir wurde plötzlich klar, dass ich nicht einmal die notwendigsten Vokabeln beherrschte, wie „bitte“, danke“, „hallo“, etc. Geschweige denn Fragen zu stellen vermochte, wie etwa: „Wo ist? Wie komme ich nach...“ Das konnte ja heiter werden!

 

Mich überkam spontan Panik. Ich fühlte mich hilflos, ausgeliefert, fremd. Wie hatte ich mich dem nur aussetzen können! Heute ist mir natür- lich klar, dass dies für mich eine absolute Hor- rorsituation war. Nichts vorbereitet, nichts fest- gelegt. Außer dem gebuchten Bett im Hostal. Der Rest würde sich ergeben. Hatte ich aus der Entfernung heraus überlegt. Nun fand ich mich aber mitten im Problem wieder!!

 

Ich starrte auf alle Schilder am Wegesrand um Informationen zu bekommen und irgendwann las ich tatsächlich „PORTO“. Das Abenteuer würde also nun seinen Lauf nehmen. Mein Herz klopfte im Hals, als Unruhe in die Mitfahrer kam. Auch ich zog meine Wetterjacke über. Erstens war es grau und regnerisch, außerdem ersparte mir das ein zusätzliches Gewicht im Rucksack. Sie- benhundert Gramm mehr oder weniger können sehr viel ausmachen, wenn man körperlich ohnehin am Limit ist!

 

Statt wie von Spanien gewohnt in eine Art Tiefgarage zu fahren, stoppte der Bus abrupt oberirdisch. In der Nähe der „Casa da Musica“ , wo ich im Lauf der Jahre noch öfter landen würde. Damals jedoch sah ich nur die Hochhäuser einer großen Stadt, viele Menschen, Trubel . Ein Pulk aus Busgästen stürzte zum Kiosk im Blick- feld, wohl für ein Getränk und um Auskunft zu erhalten. Das war beides nicht meins. Also zerrte ich den schweren Rucksack aus dem Gepäckraum, setzte ihn auf, verriegelte die Gurte und stieg die Treppen hinab, in Richtung Bahnsteige.

 

Nein, keine „Info“ fand sich, wie erhofft und vielleicht auch erwartet. Dafür ein Fahrkarten- automat. Wer schon einmal in Frankfurt, Mün- chen, oder Hamburg vor einem solchen Ding hilflos gestanden und auf diverse Zonen und schier zahllose Haltestellen geschaut hat, der kann nachfühlen, wie es mir erging. Noch dazu im Ausland. Und mit einer Sprache, der ich nicht mächtig war. Halleluja!

 

Während ich verzweifelt auf sämtliche Schilder, Tasten und Knöpfe starrte, sprach mich ein Mann mit Warnweste an. Es war der allererste Portugiese, mit dem ich je zu tun hatte. Und steht stellvertretend für alle weiteren Begegnungen mit seinen Landsleuten danach! Englisch sprechend fragte er freundlich lächelnd nach meinem Fahrt- ziel und ich zeigte ihm den kleinen Zettel mit der Anschrift des Hostals. Er nickte, drückte Tasten, warf meine Münzen ein und schwupps fiel ein Ticket ins Ausgabefach. Zum richtigen Warte- punkt wurde ich damit gebracht und erhielt die Info, nach zwei Stationen umsteigen zu müssen. Dort würde ein weiterer Helfer warten (be- freundet), dem sollte ich einen lieben Gruß bestellen und er würde mich weiterleiten. So war es auch. Aufmerksam wurde ich zum nächsten Bahnsteig begleitet und fuhr nun relativ lange unter- und oberirdisch durch die unbekannte Stadt.

 

Mit stark klopfendem Herzen stieg ich aus.

Stufen hinauf.

Fand mich mitten auf einer Kreuzung wieder. Hilfe!!

 

 

 

 

 

 

 

 

Was bleibt ist Erinnerung,

sie tobt wie ein Geist durch die Stadt.

Während der Winter die Spuren verwischt

hau' ich ab...