Es ist einer der vielen Abende, an dem wir um's Wasser und danach durch die fast men- schenleere, dunkle und verregnete Stadt laufen. Peter hat mich überredet (oder besser: überzeugt), dass unser Training nicht nachlassen darf, trotz des scheußlichen Wetters. Ich bin still, schaue auf die mehr oder weniger großen Wasserläufe, die die Straßen durch- fließen, wie der Minho und der Douro Portugal... 

Wie immer schauen wir im Sportgeschäft nach (Sonder) Angeboten, da meinem Riesen noch manches für unsere baldige Wanderung fehlt. Von all' den Marken, dort ausgestell- ten Teilen, kennt er gar nichts. Sagt entschuldigend etwas wie: "Das gab es eben alles in der DDR nicht!" Und ich antworte wie aus der Pistole geschossen mit: "Die Wende ist aber schon fast dreißig Jahre her!!" Das hat gesessen. Mir ist es in jenem Moment klar, da die Worte eben gerade meinen Mund verlassen haben...

Wie konnte ich nur?! Aber wie kann man andererseits permanent darüber nachsinnen, was nun ausgesprochen werden darf und was besser nicht? Das macht mich fertig, über- fordert mich. Ständig stoße ich an Grenzen. Meine. Und seine. Ich möchte ihm nie, nie, nie wehtun. Aber zugleich mich nicht unablässig verleugnen. Vielleicht verlange ich zuviel von mir. Ihm. Oder uns beiden... Es ist eine ganz neue Erkenntnis, dass Menschen die vor und jenseits der willkürlichen Grenze aufgewachsen sind nicht so einfach zusammenfin- den können. Das waren verschiedene Welten. Die eine reale. Und die andere, das west- deutsche Fernsehprogramm, das etwas transportiert hat, was eben nicht immer der Wirk- lichkeit entsprach. Schnulzen sind Filme, die meisten deutschen Schlager auch. Die Realit- ät sah und sieht schon immer anders aus...

An der nächsten Straßenecke wendet der Große sich mir zu: "Manchmal lachst du mich aus. Das macht mich so hilflos. Und unsicher! Dann weiß ich nicht mehr weiter..." Könnte man im Boden versinken: In jenem Moment würde ich es ganz bestimmt tun!! Ich schä- me mich unendlich!! Wer bin ich denn (gerade ich!), dass ich werten dürfte?! Als ich noch nach Worten ringe um das auszudrücken, mich zu entschuldigen (insoweit das überhaupt möglich ist), sagt Peter ganz leise: "Ich bin so glücklich, dass ich dich gefunden habe, wer weiß, unter welcher Brücke ich sonst heute liegen würde!" Gerührt nehme ich ihn in die Arme. Zugleich darüber nachsinnend, wie er das gemeint hat. Hätte es ihn so sehr umge- worfen, dass seine damalige Partnerin ihn verlassen wollte? War ich nur "der Ersatz", der gerade zur Hand war? Ich antworte besser nicht und verschlucke meine Gedanken...

Was verbindet uns, außer der Werkstatt? Der Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit? Dem Wunsch ein Heim zu haben? Was muss er dafür alles in Kauf nehmen? Worauf ver- zichte ich permanent? Vor allem meine Freiheit. Ein unendlich hohes Gut, wenn man es plötzlich nicht mehr hat. Ich fühle mich oft wie ein gestrandetes Schiff. An Land. Das sei- nen Sinn verloren hat. Und er? Weiß er es überhaupt? Könnte er Worte finden für das, was ihm fehlt? Sicher nicht. So schweigen wir beide. Liegen manchmal schlaf- und wortlos in dunklen Nächten nebeneinander...

 

 

Die Zeit rennt nun unaufhörlich dahin. Bald werden wir für drei Wochen Tag und Nacht zusammen sein. Wie wird das? Er freut sich darauf. Ich mit Bedenken. Schaue mir die zu laufenden Etappen auf dem Camino Português an, teils mehr als vierunddreißig Kilometer lang. Die schaffe ich nicht, mit dem schlecht verheilten Bein. Meinem blutenden Herzen. Der Seele, die manchmal einfach entfliehen möchte...

Wenn wir die 318 Meter lange metallene Gitterbrücke über den Minho überschreiten wechseln wir von Portugal nach Spanien. Mein geliebtes Galicien erwartet mich für die letzten rund einhundert Kilometer. Dann wird schon der April ins Land gezogen sein. Der Weg überfüllt. Denn genau jene Strecke reicht aus, um in Santiago die "Compostela" zu erlangen. Ich brauche sie nicht. Es wäre meine No.5. Der Weg ist das Ziel. Im aller-wahrsten Sinne des Wortes...

 

 

Ständig frage ich mich, ob meine Gefühle unangemessen sind.

Daraus resultieren, dass ich Asperger Autistin bin.

Aber ich bin doch gar nicht soviel anders. Ich bin EINE von EUCH...