Wie hatte ich mich auf diesen Camino gefreut, gehofft, die vielen wundervollen Erlebnisse der beiden ersten Wege wiederholen zu können.  Doch nun war alles ganz anders... Meine Tage bestanden daraus die richtige Bar, den optimalen Supermarkt zu finden, um bestimmte Lebensmittel zu organisieren. Gute Laune zu ver- breiten, zu ermuntern und motivieren. "Es sind nur noch 5km... ab jetzt ist es nicht mehr steil... die nächste Herberge ist toll... der Ort wirklich schön... Morgen soll es nicht regnen..." Ich fühlte mich, als wäre ich gegen ein gutes Entgelt als  Coach für ein schwieriges Kind im Teeniealter engagiert worden. Vermutlich hätte ich in diesem Fall auf der Stelle gekündigt. Was aber leider nicht möglich war...

Nichts was ich tat war je gut genug. Und ich begriff nicht, woher ich dieses Verhalten kannte, nur, dass ich immer angespannter wurde, permanent versuchte für zwei Menschen zu denken und auf dem Jakobsweg, jedenfalls "meinem" Weg überhaupt nicht ankam. Es ging darum irgendwie einen Tag zu überstehen und noch einen, ich hakte all' die schönen kleinen Orte und größeren Städte ab.

Es drehte sich alles nur um einen Menschen: z.B. um eine angebliche Sockenallergie (woraufhin Strümpfe für 25€ einfach im Müll landeten, statt gewaschen und in die Regale "Von Pilgern für Pilger" gelegt zu wer- den. Die Fußsohlen brannten, also waren die teuren Stiefel falsch, statt darüber nachzudenken, dass man solche Teile nicht einläuft, indem man mit ihnen mal das Cafe um die Ecke aufsucht. Der spanische Kaffee verursachte permanent Durchfall, wurde aber stets weiter getrunken, also ergab sich die zusätzliche Anfor-derung Drogerien zu finden, um täglich neue Rollen Toipapier zu erwerben. Usw., usw. 

Im Tagebuch steht permant "kalt" - Küche, Wasser, Wetter, Stimmung. Dabei durchlaufen wir Navarra, so ganz anders als Galicien, aber auf seine Art schön:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Man darf nicht vergessen: Es ist April, das Wetter in Deutschland kalt und regnerisch, während wir in den Frühling mit seiner vollen Blütenpracht katapultiert worden sind. Hätte nicht jeder, der diese Fotos sieht, Lust sich dort auch aufzuhalten? Doch es hilft nichts. Mein Schicksal ist in diesem Fall selbstgewählt, nun muss ich da hindurch. Meine kleinen Fluchten bestehen aus den wenigen Minuten, in denen ich mal voraus sprinte, für ein paar Fotos und um durchzuatmen. Frei zu sein von diesem schlechtgelaunten, stummen Trotzkind, das permanent mit stampfenden Schritten auf sich aufmerksam macht, als ticke unüberhörbar laut eine Uhr. 

Ständig soll es ein Hostal mit eigenem Zimmer sein. Federbett und Luxusbad. Das kann ich nicht bezahlen, denn ich habe keinen Mann daheim, der meine Unkosten sponsert. So wird auch dies zum Dauerthema. Ich würde ja gern ein Zimmer organisieren, aber selbst in eine Herberge gehen (um endlich mal mit normal gut- gelaunten Menschen zusammen zu sein. Das ist aber schon gar nicht erwünscht, auf Fluchtgedanken erfolgt Strenge. Also gebe ich nach. Bis mir endgültig der Kragen platzt und zwar in Najéra. Ein halber Raum würde 15€ kosten, während ich in der Herberge die Hälfte zahlen würde. Das Ende vom Lied: meine Begleiterin zahlt mir die Differenz. Okay, aber nur dieses eine Mal!

 

 

Klar, dass ein solches Zimmer angenehm ist. Aber eben vergleichsweise teuer und man ist von den anderen Pilgern separiert. Außerdem lässt sich ausrechnen, wie lange wir bis nach Santiago brauchen würden, wenn alle 11 km abgebrochen werden muss, wegen Lustlosigkeit der Chefin. Bei einer Strecke von 800 km plus angedacht Finisterre, wären wir über Monate unterwegs. Mit entsprechenden Kosten. Eines kommt zum anderen. Irgendwann schweige auch ich. Wenn ich mir ein Foto aus dieser Zeit anschaue, so spricht meine Miene Bände:

 

 

Was hat das alles mit PILGERN zu tun? Rein gar nichts. Aber wir reden kein Wort darüber. Mein Freundin schläft ab 19.30 Uhr, ich setze mich irgendwo in eine Ecke, um mal allein zu sein. Oder auch Menschen zu sehen. Wenigstens das. Die Seiten meines schmalen Tagebuchs sind jetzt leer. Was sollte ich auch eintragen? Nichts ist der Rede wert. Selbst die schönste (da neuwertige) Herberge taugt ( angeblich ) nichts:

 

 

 

Das hat wirklich schon Hotelcharakter (für wenige Euros), alle sind begeistert. Unzählige niegelnagelneue Bäder finden sich, in rosa! Das hebt sogleich meine Stimmung!

 

 

Dazu trägt auch bei, dass ich die Brasilianer von Pamplona wiedertreffe, welche Freude! Sie haben gekocht und laden uns zum Essen ein. Dass passt sogar, ich bin erleichtert! Danach verschwindet meine Freundin im Bett, es ist 19.30 Uhr, ab jetzt hat Ruhe für sie zu herrschen! Also werden die Vorhänge des Schlafraums zugezogen und die Deckenlichter ausgeschaltet. Sorry, das ist für mich Kleinkindbettzeit, da fängt für mich der Abend gerade erst an. Also retour in Küche und Speisezimmer. Dort entscheidet man zuerst zu singen. Den gleichen Titel in mehreren Sprachen, was sehr lustig ausfällt. Es wird hin und her übersetzt, was am Ende ausgeht, wie bei der "Stillen Post" und alle brechen in Lachen aus.

Hatte Rodriguez in Pamplona nicht eine Gitarre? Und der Australier so eine Art von Ukulele? Rasch werden alle verfügbaren Instrumente herbeigeholt, der Raum füllt sich binnen Minuten, es wird gesungen, getanzt, Rioja getrunken, gelacht und erzählt. Wieder einmal zeigt der Jakobsweg sein schönes Gesicht: er ist völker-verbindend! Ganz gleich, woher jemand kommt, wer oder wie er daheim auch ist: hier sind alle Teil einer großen Gemeinschaft! Mit dem gleichen Ziel: immer gen Westen, nach Santiago, das alle gesund zu errei- chen hoffen...

 

Der fröhliche Rodriguez...

 

Morgens ist meine Freundin empört. Unverschämtheit, die Mitpilger kamen erst um 22Uhr!

Und irgendwo wurde gesungen und herumgetrampelt. Wie kann man da in Ruhe schlafen?!

Das frage ich mich auch. Und es würgt mich. Nur noch 1 Tag, dann wird alles anders sein...