Kapitel 3



Der Anruf





Am Morgen trübt kein Wölkchen den Himmel, es fehlt also jegliche Ent-schuldigung dafür die Laufschuhe nicht anzuziehen und das Joggen zu vermeiden. Ein wenig erinnert es mich an mein Training früherer Jahre und daran, dass alles wieder zur täglichen Routine werden muss. Ob mit neuem Job, oder ohne!
Also aufstehen, einen Becher Kaffee trinken (morgens gibt es noch kei-nen Ostfriesentee), in die Sportsachen schlüpfen und los geht es. Vor der Haustür schweift mein Blick zuerst nach rechts, in Richtung der aus-gedehnten Wallanlagen, die langgestreckten Parks ähneln, und dann nach links in Richtung des Delfts. Da ich dort schon die Bootsmasten zu erkennen vermag fällt mir die Entscheidung leicht, ich bin nun mal ein Küstenkind und liebe das Wasser!
Unser kleiner Binnen- und Yachthafen mitten in der Stadt ist der An-ziehungspunkt für alle Touristen, wird aber auch von den Emdern gern besucht. Hat doch hier auch "Helga's Fischimbiss" seinen festen Stand-platz, den ich sommers wie winters wohl noch nie ohne lange Warte-schlangen vor der Theke gesehen habe. Auch nicht beim beliebten Weihnachtsmarkt in maritimer Atmosphäre, zu dem von nah und fern angereist wird.
Ein chices Hotel mit Wasserblick wurde vor ein paar Jahren dem Delft-Ensemble hinzugefügt, mit einer integrierten Pizzeria, die drinnen und draußen Sitzplätze bietet und ebenfalls Gäste anzieht. Direkt gegenüber hat sich eine Beachbar angesiedelt, mit einem angeschütteten Sand-strand, bequemen Deckchairs, karibisch angehauchter, flotter Musik und leckeren Longdrinks. So hab' ich es jedenfalls vernommen, zu Gast war ich bisher noch nicht. Allein macht es keinen Spass und so ganz günstig ist es weder hier noch dort. Es fehlt halt ein zusätzliches Einkommen, um die Rente etwas aufzustocken.
Das Winterlager für Segelyachten und Motorboote ist auch unabdingbar, der Vorgang des "An- und Absegelns" jeweils im Mai und Oktober eines jeden Jahres, also das zu Wasser lassen der Schiffe, bzw. wieder heraus holen, zieht stets auch viele Zuschauer, bzw. Gäste an.
Dann sind da noch die unsicheren Aspiranten für den Bootsführerschein, welche An- und Ablegemanöver ebenso trainieren müssen, wie den Not-fall "Mann über Bord" (scheinbar gibt es keine Frauen die ins Wasser fal-len?). Und natürlich sind Schlauchbootpaddler, oft Jugendliche, oder so-gar Kinder, eifrig unterwegs.
An den Bootsstegen dümpeln kleine und etwas größere Schiffe von nah und fern, wie auch die beiden offenen Schuten aus lackierten Edelhöl-zern, für die beliebten, und speziell von Gruppen sehr gern gebuchten abendlichen Grachtenfahrten mit Sektausschank und Häppchen, die es ermöglichen die ostfriesische Seehafenstadt am Abend von der Wasser-seite, mit beleuchteten Häusern, bzw. Gärten aus ganz anderer Sicht zu bewundern.
Die vielen Wohnmobilisten seien auch nicht vergessen, die gern die für sie vorgesehenen Stellplätze und auch vieles ringsum bevölkern. Ein buntes Bild ergibt sich, wenn so mancher Gast sich leicht bekleidet, oder gar nur in Badehose oder mit Bikini auf seinem Klappstuhl oder Hand-tuch am dafür nicht vorgesehen grasbewachsenen städtischen Schutz-deich wie ein Strandurlauber tummelt.
Viele der meist von den Senioren mitgebrachten Hunde sind auch nicht immer eine wahre Freude, wenn deren Herrchen und Frauchen mit ihnen Gassi gehen, sich um die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner aber gar nicht, oder nur ungern kümmern. Ihnen nachfolgende Spaziergänger sind darüber wenig begeistert und Jogger mit oft weißen und teuren Laufschuhen schon gar nicht! Was auch mich betrifft.
Ein Morgenlauf um den Delft bietet also stets mehr oder weniger inte-ressante Aus- oder Anblicke, anders als so manche langweilige Jogging-strecke in Großstädten, die auch ich schon abgelaufen habe. Und wer an Frühstücksbrötchen interessiert ist, kann zudem ohne allzu große Um-wege bei verschiedenen Bäckern vorbei traben.
Läuft man einmal komplett um alles herum, sollen 2500 m zusammen- kommen, habe ich mal bei einem der jährlich stattfindenden Stadtläufe erfahren. Ob das stimmt? Wer also beide Klappbrücken (jene neben der Eisenbahn und meine zum benachbarten Falderndelft) "mitnimmt" und es schafft die Strecke einmal hin und zurück in der Gegenrichtung zu bewältigen, hat also fünf Kilometer hoffentlich locker geschafft. Was mir als vormittägliches Training völlig genügt.
Ich beginne ja gerade erst seit ein paar Tagen wieder damit fit zu wer-den und will keinesfalls übertreiben. Zumal sich rasch meine Fussver-letzung vom letzten "Camino de Santiago" meldet. Die mir die hoffent-lich einmalige Erfahrung bot, einen spanischen Operationssaal ausgiebig von innen und außen kennenzulernen. Und mir als bleibende Erinnerung noch lebhaft in Erinnerung ist. Merke: Laufen ist gut, humpeln mit Gips-bein mühsam!
Nach der vollbrachten Tat bin ich froh das Sportzeug abwerfen und mich unter die Dusche begeben zu können! Nun kommt zur Belohnung meine Kanne mit Ostfriesentee und allem was dazugehört auf den Tisch. Mit einem sehr kleinen Löffel Sahne und einem geradezu winzigen Kluntje. Man will sich schließlich nicht umsonst gequält haben, das wäre wirklich suboptimal!
Ach ja, da war doch noch etwas? Meine Bewerbung! Sie ist nun allerdings schon einige Tage her, anfangs hoffte ich schon auf eine Antwort, inzwi-schen allerdings nicht mehr. Dort sind bestimmt abertausende von An-fragen eingegangen. Auf eine mit der Angabe "60plus" hat sicher nie-mand gewartet!
Kaum habe ich daran gedacht, da läutet das Telefon im Hausflur. Hallt auf allen fünf Etagen wieder. Als ich abhebe und mich nur kurz mit: "Ja?" melde, erklingt die Simme eines offenbar jungen Mannes. "Hallo, hier ist Ben!" 

Ich hasse solche Sprüche und vermute sofort, dass mir etwas aufge-schwatzt werden soll, das ich weder brauche, noch kaufen will! Ent-
sprechend folgt meine unfreundliche Reaktion: "Welcher Ben und um was geht es überhaupt?" Mit einer Antwort wie ich sie nun erhalte, hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet! 

"Ich bin Ben, von K.i.l.i.a.n, du hast dich auf unser Zeitungsinserat bei uns beworben und ich freue mich dich kennenzulernen!"
Woher hatte er überhaupt meine Rufnummer? Ich wollte sie bewusst nicht angeben, sondern wünschte mir zunächst nur einen Mailkontakt. Hätte ich nicht besser gleich aufgelegt? Aber dann wäre mir das Aben-teuer meines Lebens entgangen. Ich hätte Ben nie kennengelernt. 

Und einen anderen auch nicht...