Kapitel 4




Die Mausefalle



Wie man an meine Rufnummer gekommen sei, das ist denn auch meine erste Frage. Sie klang sicher nicht besonders freundlich. Die junge Stim-me versucht Sympathiepunkte zu erhalten: „Also wenn ich so etwas nicht herausfinden könnte, wäre ich für meine Aufgabe am Telefon ungeeig-net! Es tut mir echt leid, wenn ich da einen Fehler gemacht habe...“ Das klingt so ernsthaft zerknirscht, dass mein Ärger verraucht. Woher sollte der Anrufer wissen, dass ich mit meinen persönlichen Daten immer vor-sichtig bin?! Was sich bei einer Bewerbung natürlich eher als suboptimal darstellt.

Das äußere ich auch und damit sind wir gewissermaßen versöhnt. „Du möchtest sicher vieles wissen, was uns und deine potentielle Aufgabe betrifft, frag' einfach“, klingt es aus der Leitung. Das ist leicht gesagt, aber für mich in der Überraschungssituation schwer getan. Einiges hatte ich mir natürlich bereits vorsorglich notiert, allerdings in Formulierun-gen für einen Mailkontakt. Nun aber bin ich irgendwie leicht „vom Pad ab“, wie man bei uns im Norden sagt.

Der Spieß wird also für einen kleinen Zeitgewinn erst einmal umgedreht. „Mir wäre es im Moment lieber, wenn du mir zuerst Fragen stellst, da-raus ergibt sich bestimmt schon einiges.“ Ben erkundigt sich daraufhin nach meinen allgemeinen Lebensumständen. Was mich einerseits ver-wirrt, mir aber dann wiederum normal vorkommt. Erst später kam mir manche Frage etwas seltsam vor. Obwohl letztlich alles irgendwie eine reine Interpretationssache war. Und jeder Arbeitgeber möchte schließlich jenen Mitarbeiter finden, der seine speziellen Suchkriterien erfüllt. Au-ßerdem war dies offensichtlich eine noch recht junge Firma mit einem innovativen Konzept. Sie hatte ihren Fragenkatalog sicher nicht leicht-fertig erstellt.

Natürlich beginnt es ganz obligatorisch mit Auskünften nach Schulaus-bildung, ob Lehre, Studium, oder anderes, in welchen Bereichen ich da-nach beruflich tätig war, usw. Bis dahin absolut angemessen. Nur, dass überhaupt keine schriftlichen Bewerbungsunterlagen nachgefragt wer-den, das irritiert mich. Ich sage es aber nicht. Ben meint, dass mein Wer-degang sehr interessant klänge, vor allem meine Zeit im Bereich der Ge-rontopsychiatrie, aber auch meine Jahre im Handwerk. Gerade Bewerber mit Lebenserfahrung und Reife würden von seiner Organisation bevor-zugt eingestellt, da sie das bereits vorhandene Team ideal komplettieren und beide Eigenschaften mir bei meiner Tätigkeit sehr viele Aufgaben erleichtern würden.

Spätestens an diesem Punkt hätte ich nachhaken sollen, welche das denn genau wären, aber ich war immer noch überrumpelt und aufgeregt. So habe ich das später vor mir selbst entschuldigt. Eine Lawine hatte mich überrollt, die ich zunächst gar nicht einzuordnen wusste. Es ging alles so rasend schnell, dass ich mich gar nicht erden konnte, um in Ru-he nachzudenken.

Es war ja auch in einem gewissen Umfang verständlich, dass man nach seinen Lebensumständen befragt wurde. Zum Beispiel, ob es einen Part-ner gäbe, zu versorgende Kinder oder Enkel? Haustiere? Pflegebedürftige Verwandte? Ob ich einen engen Freundeskreis hätte, wer noch zu mei-nem Umfeld gehören würde, z.B. in Kirche oder Vereinen, ob ein Garten Pflege nötig hätte, etc.

Nein, versicherte ich, ich wäre gänzlich unabhängig, niemand würde mich vermissen, ich könnte einfach mein Haus abschließen, der Nachba- rin den Schlüssel für Notfälle übergeben und überall in der Welt arbeiten und leben. Ohne es zu ahnen, passte ich damit voll ins Schema! Sicher setzte dieser Ben ein Ausrufezeichen hinter seine Notizen, bzw. unter-strich so manche meiner Angaben besonders dick!

Als ich nun meinerseits Fragen stellen sollte, fielen mir zunächst kaum welche ein. Ich war unvorbereitet und das gefiel mir ganz und gar nicht! Also erkundigte ich mich erst einmal nach den Reisen, um die es ging. Waren das Fernreisen, Familienurlaube, Kurztrips? Eher preiswert, oder für gehobene Ansprüche? Beriete ich vom heimischen Telefon aus, oder in einem Reisebüro? Wie wären denn dort die angedachten Arbeitszeiten, gäbe es viele Kollegen usw.

Mein Gegenüber lächelte vermutlich angesichts meiner offensichtlichen Naivität, blieb aber professionell gelassen. Vermutlich hatte er schon reichlich Erfahrungen mit anderen Bewerbern gemacht und/oder saß schon lange in einem Callcenter. Seine Antwort brachte mich wiederum total aus dem Konzept:

„Vielleicht war unser Inserat diesbezüglich doch etwas missverständlich formuliert. Du sollst keine unserer Reisen vermitteln, du sollst sie für uns antreten!“

Wenn ich mich noch richtig erinnere, war ich so perplex, dass ich erst einmal nichts mehr sagte. Also doch! Offensichtlich war dies eine neue, clevere Verkaufsmasche von Reiseanbietern und ich war darauf herein-gefallen! So einfach kam man also an Daten und Auskünfte von poten-tiellen Kunden und mancher Angerufene würde sich bestimmt überrum-peln lassen! So fiel dann wohl auch meine Reaktion aus...

Ben legte nicht auf, er wartete in aller Ruhe das Ende meines Ausbruchs ab. „Noch so ein Missverständnis“, sagte er, „du sollst nichts bezahlen, sondern erhältst für deine Teilnahme von uns eine wirklich hohe Auf-wandsentschädigung. Und zwar beginnend mit der Vorbereitungsphase hier in unserem Hause, während der Reise selbst und natürlich für die Nachbearbeitungszeit, die für uns den wichtigsten Teil der Reiseanalyse ausmacht!

Wir nehmen das ernst, denn es handelt sich um sehr innovative Reisen, die ausschließlich durch uns angeboten werden. Sie sind individuell auf finanziell bestens aufgestellte Kunden zugeschnitten. Geld spielt in sol-chen Kreisen keine Rolle, es kommt nur auf die Exklusivität des Ange-bots an! Diese Reisenden suchen nach dem, was nicht für jedermann und bei jeder Agentur zu bekommen ist, es soll der extreme Kick, wenn nicht sogar das Einmalige sein!“

Ich gebe zu, dass ich beeindruckt war. An einer besonderen Reise, die man nicht einfach so kaufen konnte, sollte ich kostenlos teilnehmen. Und könnte damit zudem noch gutes Geld verdienen. Wer hätte denn ein solches Angebot abgelehnt?!